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Channel: Daniel Wüllner – Comicgate
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Währenddessen … (KW 34)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: Auf der Documenta gibt es mit dem Parthenon der Bücher ein beeindruckendes Kunstwerk, das einzig aus verbotenen Büchern besteht. Jeder, der wollte, war aufgerufen, Bücher, die irgendwo oder irgendwann verboten waren oder es noch sind, einzuschicken, so dass sie in das Kunstwerk eingearbeitet werden konnten (siehe Clip). Beworben wird die Aktion als „Zeichen gegen das Verbot von Texten und die Verfolgung ihrer Verfasserinnen und Verfasser“. Aber es gibt Auflagen: Gewaltverherrlichende, rassistische, rechtsradikale und pornografische Schriften dürfen nicht in das Kunstwerk; außerdem orientiert man sich an der Liste der BpjM. Der deutsche Index, heißt es, diene dem Jugendschutz und dem Schutz vor Angriffen auf die freiheitlich demokratischen Grundrechte. Man unterscheidet also zwischen „berechtigten“ und „unberechtigten“ Verboten. Sicher, jede Gesellschaft muss Widersprüche aushalten, was die BpjM anstellt, ist einigermaßen transparent und nachvollziehbar, und eine Verfolgung findet in Deutschland sicher nicht statt. Außerdem ist es vielleicht nicht statthaft, Lucio Fulcis Glockenseil-Zombiefilme mit Salman Rushdies Satanischen Versen gleichzusetzen. Trotzdem bleibt ein fader Geschmack zurück.

Ich habe kein ernstes Problem mit der BpjM, und wenn ich einen Film sehen möchte, der in Deutschland nicht erhältlich ist, dann fahre ich auf eine Filmbörse oder nach Österreich. Das ist bei uns erlaubt, denn wir leben ja zum Glück in einer offenen Gesellschaft. Dass die Germanistin, welche bei der Auswahl der Bücher letztlich verantwortlich ist, aber der BpjM derart kritiklos die Deutungshoheit zugesteht über das, was problemlos verboten sein „darf“, finde ich unreflektiert und ärgerlich. Denn eine befriedigende Antwort darauf, warum Pasolinis letzter Film immer noch auf dem Index ist (und die Vorlage vom Marquis deSade nicht), werde ich derzeit nicht erhalten. (Indizierung ist kein Verbot, ich weiß, aber eine Indizierung kann für ein Werk dennoch folgenschwer sein und zu dessen Verschwinden beitragen.) Und ist Brechts Die Maßnahme vielleicht nur deswegen erlaubt, weil’s sakrosankte Weltliteratur ist? (Mehr darüber im Tagesspiegel hier.) Man kann in Die Maßnahme durchaus einen Angriff auf die demokratische Grundordnung sehen. Selbstverständlich wird man selten so klug an die Hand genommen und ins Herz der Finsternis mitgenommen wie in Brechts Lehrstück, aber man wird auch sehr alleingelassen mit den verstörenden Botschaften des Stücks. Auch Goethes Die Leiden des jungen Werther lässt Selbstmord nun mal cool aussehen, das lässt sich nicht leugnen.

Muss man den Leser nicht vor sich selbst schützen? Dazu passt das Zitat der verantwortlichen Künstlerin Marta Minujin: „Manche Menschen denken, Bücher sind Gift.“ Aber hat nicht Stanley Kubricks Clockwork Orange auch eine Welle von Jugendgewalt ausgelöst, so dass Kubrick selbst verfügte, dass sein Film in England nicht mehr gezeigt werden sollte? Natürlich ist der Parthenon eine beeindruckende Zusammenstellung, aber sie wirkt auch ein bisschen wohlfeil. Aus unserer behüteten Sicherheit heraus und mit dem zeitlichen Abstand zu – sagen wir – Goethes Zeiten, oder auch der chinesischen Kulturrevolution, lässt sich leicht ein Überlegenheitsgefühl erzeugen, dass wir inzwischen in der besten aller Welten leben. Trotzdem sollten wir – um es mal mit einem biblischen Motiv zu sagen – den Balken in unserm Auge nicht übersehen, auch wenn unsere Bücherverbote nicht in düstere Folterkeller führen und manchmal auch schlüssig begründet werden können. Aber auch der Jugendschutz in Deutschland kann existenzbedrohend sein (siehe die Causa Alpha Comic in den 90ern.)

P.S. Natürlich ist der hat der Vergleich von Filmen und Büchern was von Äpfeln und Birnen, aber deshalb habe ich Beispiele aus dem Filmsektor gewählt, die absolut kanonisch sind und sicher nicht als unwichtiger Schmuddelkram kleingeredet werden können. Gerade im Fall von Brecht und Pasolini sind die Grenzen zwischen Literatur, Aufführung und Film außerdem fließend. Deshalb finde ich die Überschneidung völlig legitim.

NiklasIm Juni habe ich über Grant Morrisons Multiversity hergezogen, da er aus meiner Sicht das Konzept mit den Parallelwelten des DC-Universums nicht vertiefte, obwohl ich das Konzept mag. Zum Glück gibt es Filme wie Justice League: Gods and Monsters. Die Prämisse ist schnell erzählt: Bruce Timm hat einen Film über eine alternative Justice League gemacht, bestehend aus einen arroganten Superman, Batman als Vampir und Wonder Woman die … dabei ist. Gemeinsam klären sie grausige Morde auf und werden dabei misstrauisch von der US-Regierung beobachtet. Das Misstrauen ist nicht unberechtigt, wie sich herausstellen wird.

Ich weiß nicht, ob die Image-Serie Authority ihre Prämisse genauso aufgezogen hat, aber der Film vermittelt wie ambivalent seine Helden sind, da ihnen nicht nur gesagt wird, dass sie die Welt beherrschen könnten, sondern weil sie es tatsächlich auch in Erwägung ziehen, vor allem Superman. Kein Expy, Superman, der in dieser Version stolz auf seine Herkunft als Alien ist und es jeden spüren lässt, denkt darüber nach die Welt zu beherrschen. Natürlich nur um, sie aktiv besser zu machen, aber dies ist kein böses Spiegelbild, sondern der wahre Superman dieser Welt. Er ist skrupelloser, aber trotzdem bleibt er ein klassischer Held. Wo er aber in anderen Filmen sich schnell als brutaler Diktator erweisen würde, ist er hier wesentlich komplexer, da er auch Gnade zeigen kann und seine Freundschaft mit den beiden anderen Helden ist ehrlich und aufrichtig. Er ist kein einfacher Charakter, genau wie die meisten anderen Figuren des Films, die ihre Weltsicht äußern, aber diese auch in Frage stellen müssen. Letztendlich ist Gods and Monsters ein Film über Perspektiven und Komplexität, der auch deswegen funktioniert, weil wir die Archetypen dieser Figuren kennen und bestimmte Tropen erwarten, die dann wieder gebrochen werden. Es hilft aber auch, dass der Film eine gute Handlung hat, die mit einigen Twists aufwartet, die nicht sofort zu erkennen sind. Ich will auf jeden Fall mehr Geschichten aus diesem Universum.

Zum Thema „Intertextualität und Superhelden“ hat der außerordentlich belesene Kyle Kallgren übrigens ein höchst interessantes Video hochgeladen. Er verpackt das was ich geschrieben habe, wesentlich intelligenter (und unterhaltsam).

Ich habe in den letzten Monaten überhaupt eine Menge Superheldencomics (Tipp: Zu viel Batman ist ungesund, also nur in kleinen Dosen von Miniserien mit nicht mehr als sechs Heften genießen) gelesen. Neben Kurt Busieks sehr lange Serie Astro City (die mit jedem Heft mir ans Herz wuchs) und John Arcudis A God Somewhere (dessen Geschichte mir das Herz brach), habe ich die Hefte 6-12 von Jeff Lemires Serie Black Hammer nachgeholt und kann mit Fug und Recht behaupten, dass die Geschichte sich immer noch am Anfang befindet und Mister Lemire auf 28 Seiten erstaunlich wenig erzählt. Das finde ich ausnahmsweise nicht so schlimm. Das liegt hauptsächlich an den interessanten Charakteren, die Lemire in den ersten sechs Heften vorstellte und eine wunderbar dsyfunktionale Familie ergeben. Eine dysfunktionale Familie bestehend aus älteren Herrschaften, die ihr altes Leben und ihre Entscheidungen bereuen, während sie mit Leuten gefangen sind, die sie vielleicht lieben, aber nicht immer mögen. Diese Reflektionen, die Lemire in Rückblenden erzählt (von denen es bisher mehr gibt, als Szenen in der Gegenwart) machen für mich das Herz der Serie aus und deswegen werde ich weiterlesen. Ich hoffe nur, dass die Geschichte endlich richtig losgeht. Spätestens ab Heft 15 wäre es nicht schlecht.

Daniel: In Momenten, in denen mir unglaublich fad ist, suche ich oft nach dem richtigen Konsolen- oder Tablet-Spiel, um mich abzulenken. In den meisten Fällen finde ich die falschen Spiele und ärgere mich, Geld ausgegeben zu haben. Seid verflucht, iOS- und Playstation-Stores! Letztes Wochenende habe ich King’s Quest gefunden. Eine neue Version von King’s Quest. Für manche Leute sind die besten Point-and-Click-Adventure Monkey Island, Maniac Mansion oder Zac McKraken. Ich finde, dass die Sierra-Spiele (Leisuresuit Larry, Hero Quest, Police Quest, etc-Quest) besser geschrieben sind. Einfach unterhaltsamer, weil sie an der richtigen Stelle ernster sind als die Konkurrenz. Ich wollte gucken, ob die Odd Gentlemen (ein wirklich netter Name für ein Produktionsstudio) in der Lage sind, den Charme des Spiels in unsere Zeit zu übertragen.

Funktioniert. Wie die kleine Gwendolin lässt man sich vom alten König Graham, die Geschichte des jungen aufstrebenden Abenteuerer Graham erzählen – und spielt ihn dabei selbst. Die Grafik ist schön weich gezeichnet und der Charme der Geschichte blitzt hervor, wenn Graham seine Mund aufmacht. Das trifft sowohl auf sein Arsenal aus schlechten Wortwitzen, wie auch auf seine überdrehten Monologen zu. Der Humor der alten Spiele, zumindest an den ich mich erinnere, ist derselbe geblieben. Die erste von fünf Episoden ging runter wie Öl. Ein abendfüllendes Abenteuer. Doch leider kann man nicht speichern wo man möchte. Dabei hat Sierra doch den Slogan „Save early – save often“ geprägt. Nun habe ich mich in eine Sackgasse manövriert und muss die zweite Episode neu starten. Das sollte bei einem familienfreundlichen Spiel nicht sein. Ich werde trotzdem gleich noch mal nach Daventry gehen.

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Währenddessen … (KW 35)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: Nach meinem Text über die Documenta letzte Woche ist es mir heute wichtig, etwas klarzustellen. Es ist leicht, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien als „Zensurbehörde“ zu beschimpfen. Man sollte aber nicht übersehen, dass die BpjM oft das entscheidende Zünglein an der Waage war, dass eine anstehende Zensur eben nicht stattfand. So gab es zum Beispiel schon mehr als einmal den Versuch, Comics von Ralf König durch Indizierungsanträge vom Mainstream zurück in den Underground zu drängeln, und noch jedes Mal hat sich das entscheidende Gremium nach reiflicher Überlegung gegen die streng konservative Gesinnung der Antragsteller gestellt. Und auch die durchaus heftige Mangareihe Battle Royale wurde nicht indiziert, was durchaus ein sehr erfreulicher Präzedenzfall ist. Es ist nachvollziehbar, dass man sich beim Bücher-Parthenon auf die Expertise der BpjM verlässt. Dass diese Behörde jedoch nicht völlig ohne Widersprüche funktionieren kann, ist ebenso leicht zu verstehen.

Weiterführende Links
TAZ-Archiv, Spiegel-Online, Comicgate, noch mal Comicgate und die BpjM.

Niklas: Über Garth Ennis kann man ja einiges sagen, aber Kriegsgeschichten kann der Mann einfach schreiben. Das wurde mir mal wieder bewusst, als ich Dreaming Eagles  las, eine kleine Miniserie um die ersten afroamerikanischen Kampfflieger in der US-Army. Dreaming Eagles ist ein kleiner Comic. Klein in seiner Geschichte und auch klein, in dem was es zu sagen hat: Ein Vater und sein Sohn streiten sich über Martin Luther King und der alte Herr erzählt seine Erlebnisse im zweiten Weltkrieg. Am Ende steht fest: Rassismus ist zu jeder Zeit beschissen, Krieg ist beschissen und fliegen ist schön. Das sind wichtige Erkenntnisse, die man nie vergessen sollte, aber die Zwischentöne sind es, die die Miniserie zu einer interessanten Lektüre machen. Ennis erzählt eine berührende Geschichte über Männer, die sich für ihre Nation beweisen wollen und denen es trotzdem nicht gedankt wurde. Sie fliegen, sie schießen, sie sterben und am Ende warten doch nur Schläge von denjenigen, für die sie gekämpft haben. Nichts ändert sich, so erscheint es dem Erzähler, sollte man da nicht doch den Kopf unten halten? Sein Sohn hat da seine eigenen Gedanken und zumindest ich war vom Ende gerührt und musste an die Welt da draußen denken. Vielleicht brauchen wir gerade jetzt solche Geschichten, um uns daran zu erinnern, dass aufgeben keine Option ist. Vielleicht wird es doch Zeit aktiver zu werden. Und das von Garth Ennis. Er hat sich seit Preacher wirklich weiterentwickelt. Wie gesagt, Kriegscomics kann er einfach.

Außerdem habe ich meine Reise durch immer noch zu viel Batman (im Ernst: lest nicht zu viel Batman. Das ist nicht gesund) damit abgeschlossen Batman: Arkham Asylum zum dritten Mal durchzuspielen. Diesmal habe ich alle Geheimnisse entdeckt, mich auf dem schwersten durchgeprügelt und festgestellt dass … Arkham Asylum immer noch ein verdammt gutes Spiel ist. Sogar die ziemlich pulpige Geschichte besitzt im nachhinein doch mehr Qualität, als ich zuerst dachte. Das liegt vor allem daran, dass man es nicht einmal hinterfragt, wenn Batman gegen Killerpflanzen, Clowns mit Gewehren und einen gefesselten Bane kämpft, dessen Steroide irgendwie dabei helfen sollen Geisteskranke zu heilen. Ist klar. Zugegeben, das liest sich bescheuert, aber im Kontext des DC-Universums ergibt das alles Sinn, vor allem wenn der Mastermind dahinter Joker heißt.

Es schließt sich also an das an was ich letzte Woche über Superhelden und Archetypen schrieb und da die Kämpfe immer noch simpel aber irgendwie auch fordernd sind, macht es mir auch nichts aus, wenn ich mal wieder in den Boden gestampft werde. Am besten gefällt mir aber, wie meine Lebensenergie an die Erfahrungspunkte gekoppelt ist, die ich erhalte wenn ich die Insel erkunde oder Kämpfe ausfechte. Dadurch werde ich als Spieler gezwungen Arkham Island zu erkunden und so mehr über Batmans Gegenspieler und die Welt in der sie leben herauszufinden. Da die Extras auch zum Verständnis dieser Welt beitragen, versetzt mich das umso mehr in die Welt des dunklen Ritters und dann reißen mich die Wendungen in der Handlung auch gleich wieder mit. Es hilft aber auch, dass Asylum im Gegensatz zu Arkham City ein wesentlich lineares Spiel ist. Durch die Linearität bleibt die Dringlichkeit der Geschichte immer vorhanden und da das Asylum kleiner ist als der abgesperrte Stadtteil in City, nehme ich mir gerne Zeit, um sie zu erkunden und für die härteren Encounter gewappnet zu sein. In City ging die Dringlichkeit auf Grund der größeren Karte schnell verloren und die spielerische Freiheit tat Batman auch nicht gut. Schließlich ist er jemand, der von seinen Neurosen immer wieder auf den rechten Pfad gezwungen wird. Wenn man ihn zu viel Freiheit gibt, verhedert er sich in zu viel kleineren Sachen und bringt nicht eine einzige wirklich zu Ende. Das würde zumindest erklären, warum immer noch so viele Mörder in Gotham City herumlaufen.

Daniel: Mit dem Ende der siebten Staffel endet auch das Spiel um den Thron. Denn außer Cersei will niemand mehr mitspielen. Bleiben nur zwei Optionen: Entweder wie ein Untoter der achten Staffel entgegensabern oder aktiv ins Game of Thrones eingreifen. Damit sind nicht “Monopoly”-, “Risiko”- und “Cluedo”-Versionen mit aufgeklebtem Westeros-Thema gemeint. Die lassen sich gut zu Brennmaterial verarbeiten, wenn es draußen kalt wird. Dann bleibt auch mehr Platz für gute Game-of-Thrones-Spiele. Die habe ich für die Süddeutsche Zeitung hier vorgestellt. Spoilerfrei versteht sich.

Wer die neuste Staffel schon gesehen hat, dem kann ich die Recaps von meinem Kollegen Matthias Huber nur ans Herz legen.

Christian: David Cronenbergs kommerzielle Filme sind seine schönsten. An erster Stelle ist da natürlich Dead Zone, eine recht konventionelle, aber fesselnde Stephen King-Verfilmung. Besser noch gefällt mir aber Scanners von 1981. Arte zeigte ihn letzten Donnerstag unter dem Motto „Das Große Spulen: Das war das höllisch-heiße Videozeitalter“. Ja, in den frühen 1980ern ließ man im modernen Genrekino gerne mal die Köpfe platzen, aber nur bei Cronenberg muss man heute noch verschwurbelte Texte darüber lesen wie „Der explodierende Kopf besitzt […] Schlüsselmotiv-Charakter, weil er ein im Cronenbergschen Genre-Verständnis wesentliches Bild für die Transzendenzfähigkeit des Körpers liefert: die telepathische Übernahme als Inbegriff der Fusion zweier Nervensysteme – mit dem platzenden Kopf als ultimativer money shot“ (aus David Cronenberg, Bertz + Fischer 2011). Aha. Und das ist genau der Grund, weshalb ich Sekundärliteratur über Cronenberg nicht mag. Bei Cronenberg wird immer überintellektualisiert. Beim Film Scanners muss man allerdings wenig Sorge haben. Das ist einfach ein dreckiger, kleiner SF-Kracher, der von der ersten Minute an hochspannend ist. Auf Arte ist er im September in der Mediathek zu sehen. Auch Alan Moore und Gary Leach könnten, was die Optik ihres Comics Miracleman angeht, durchaus von Scanners beeinflusst gewesen sein, denn der diabolische Kid Miracleman trägt nicht nur die selbe Kleidung wie Darryl Revok, der böse Scanner (gespielt von Michael Ironside), beide Figuren sind durch ihre Superkräfte nahezu unbesiegbar und sehr, sehr böse. So wie Scanners sollten Superheldenfilme sein. Ohne den Pop-Kram und die Kostüme, die nur auf Papier funktionieren, sondern psychologisch fesselnd und glaubwürdig. Scanners ist wie die besten Comics von Alan Moore und Frank Miller aus den 80ern.

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Währenddessen … (KW 37)

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Daniel: „The internet has basically ruined America!“ Eine starke These, die Dirk Wood, Chef des neuen IDW-Imprint Woodwork, in seinem Kickstarter-Video da raushaut. Seine Stimme kratzt dabei wie eine Nadel über Schellack. Die sonore Botschaft: Investiert in ein Produkt, das die analoge Welt wieder in den Vordergrund stellt. Ein ehrliches Produkt, das vierteljährlich nur in Printform verfügbar ist. Wood sammelt per Crowdfunding Geld für „Full Bleed: The Comics and Culture Quarterly„, ein 220 seitenstarkes Hardcover, das von Musik, über Comics, Literatur und Whiskey in Japan eigentlich alles covert.

Die erste von vier Ausgaben soll bereits im Dezember ausgeliefert werden. Enthalten sind ein langes Interview mit Stephen King, eine Reminiszenz auf Douglas Adams, ein bisher unveröffentlichtes Interview mit Alan Moore und natürlich viele Comics. Das alles klingt ein bisschen so wie angestaubter Plattenladen, aber das ist nur Dirks Stimme. Das Cover von Cassey Kuo spricht eine ganz andere Sprache. Mehr so etwas wie „The Believer Magazine„. Den vierteljährlichen Rhythmus finde ich prinzipiell gut, aber ob es wirklich ein Hardcover sein muss, da bin ich skeptisch, auch wegen der Kosten. Aber es soll aber eben kein Pulp, sondern was fürs Regal sein. Ich habe die Kickstarter-Kampage unterstützt, obwohl die Versandkosten fast so viel betragen wie der einzelne Band. Wer sich für das Projekt interessiert, sollte es an seinen Comicladen weiterleiten, weil Dirk mit seiner Reibeisenstimme verrät, dass eine Kooperation mit Diamond Distribution in Planung ist. Ob das auch für Deutschland kommen wird? Ich habe ihn mal angeschrieben. Er klang optimistisch. Jetzt habe ich Lust auf Let it Bleed von den Stones.

Daniel: MARVEL LEGACY Teaser TrailerComicverlage und -leser sind versessen auf Ursprungsgeschichten. Die Originstory so vieler Superhelden wurde schon so oft erzählt, dass Sigmund Freud seine helle Freude hätte, die multiplen Psychen der verwirrten Kostümierten wieder auseinanderzuklamüsern. Im April 2017 hat Marvel angekündigt, eine Über-Originstory draufzusetzen: mit Marvel Legacy. Marvel Legacy #1 erzählt die Ursprungsgeschichte der ersten Superhelden eine Million Jahre vor Christus. Soll das heißen, Ghost Rider reitet ein brennendes Mammut? Genau das soll das heißen. Aber es kommt noch mehr, wie die Tom Brevoort (Executive Editor) und Axel Alonso (Editor in Chief) verraten. Das Großevent wird sich in alle aktuellen Storylines einschreiben.

Brevoort erklärt, wie toll das wird. Supertoll. Alle werden glücklich sein. Menschen werden auch Jahre später noch über dieses Event sprechen: „Weißt du noch, damals, als Marvel versucht hat, uns mit dieser dämlichen Legacy-Idee zu ködern? Und wir sind drauf reingefallen.“ Natürlich verspricht Alonso den Spagat zwischen den alten und neuen Helden. Die alten kommen zurück, und die neuen bleiben. Klar passen Mark Morales und Peter Parker beide in das gleiche Kostüm – am besten gleichzeitig, als achtarmige Spinne. Auch nett, dass sie die Shoppingliste für die einzelnen Serien gleich im Video gleich mitliefern. Außerdem versuchen sie mit Neuauflagen von klassischen Covern daherkommen. Das einzig Gute: Diese Cover sind nicht mehr foil-embossed, das hoffe ich zumindest für Marvel. Wenn ihr mit dabei sein wollt, kauft das erste Heft am 27. September. Ich werde mir das zumindest runterladen und mich vergewissern, dass es Sinn hatte, alle Superhelden-Abos in meinem Comicladen zu kündigen.

PS: Schlimmer als die absurden Storylines sind aber die Menschen, auf die man bei der Recherche trifft. Mir war bewusst, dass viele amerikanische Stammleser nicht zufrieden mit einem weiblichen Thor und einem lateinamerikanischen Spider-Man sind. Aber die Ablehnung, die Leser in YouTube-Videos den SJW-Autoren entgegenbringen, ist erschreckend. SJW musste ich erstmal googlen. Heißt Social Justice Warrior und bezeichnet Autoren, die Lesern die männlich weiße Prügelei wegnehmen und ihnen dafür Frauen und soziale Probleme in ihren geliebten Superhelden-Comics präsentieren. Diese Probleme sollten bitte an anderer Stelle geklärt werden, meinen diese Menschen. Aber sollten die sich nicht freuen, wenn die alten Helden zurückkommen? Eben nicht, denn die bösen SJW-Autoren könnten ihre heißgeliebten männlichen Machos schwul machen. Was für Idioten!

Frauke: Obwohl immer mal wieder über den Namen gestolpert, habe ich länger gebraucht, mich mal an People of Earth zu wagen. Die Prämisse, dass die Mitglieder einer Selbsthilfegruppe sich nicht nur einbilden, von Aliens entführt worden zu sein, klingt interessant, aber ich bin kein großer Fan von Komödien. Gut, dass ich der Serie jetzt doch endlich eine Chance gegeben habe. Es sind zwar alberne Szenen dabei (so wird die Inkompetenz und der Zwist der Aliens gerne durch den Kakao gezogen), aber viele Gags zünden dann doch, und die Serie zeigt schnell ernste Untertöne und präsentiert durchaus vielschichtigere Figuren.

Frauke: Vor einigen Wochen war ich zum zweiten Mal bei den Bregenzer Opernfestspielen, diesmal bei Carmen (FAZ-Rezension). Was diese Open-Air-Festspiele generell ausmacht, ist, dass sie pro Aufführung 7000 Zuschauern die größte Seebühne der Welt bieten, welche bei jeder Inszenierung ein wunderbares, technisch ausgetüfteltes Bühnenbild (Übersicht) spendiert bekommt und bei der der Bodensee mit einbezogen wird. Orchester und Dirigent sind sicher überdacht, aber Sänger und Publikum müssen gegebenenfalls dem Regen trotzen. Dazu kommt eine extra für diese Location entwickelte Beschallungstechnik („Bregenzer Richtungshören„) mit insgesamt 910 Lautsprechern, die bewirkt, dass der Gesang genau aus der Richtung wahrgenommen wird, in der er auch entsteht. Die Inszenierung hat mir noch besser gefallen als die von Turandot von vor zwei Jahren: sehr lebhaft, mitreißend und von seinen Sängern viel Körpereinsatz abverlangend (inklusive bis zu den Knien in Wasser tanzend, Sprung in den Bodensee und Abseilen aus 20 m Höhe). Da jede Inszenierung zwei Sommer lang läuft, kann ich guten Gewissens empfehlen, nächstes Jahr in Bregenz bei Carmen vorbeizuschauen. Aus leidvoller Erfahrung: nicht zu lange mit Kartenkauf und vor allem Hotelbuchung warten. Den Einführungsvortrag dann auch noch direkt mitnehmen – kenntnisreich, mit vielen Anekdoten und – zumindest bei unserer Dame – durch seinen süffisanten Unterton sehr nahbar dargeboten. Und zu guter Letzt war man damit auch an einem Drehort eines James-Bond-Films.

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Währenddessen … (KW 38)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: Nach langer Zeit habe ich mir letzte Woche den Zauberer von Oz mal wieder angesehen. Zunächst war es einfach die Freude daran, einen Klassiker wiederzusehen und das vielgecoverte „Somewhere over the rainbow“ im Original zu hören. Der Film ist randvoll mit großartigen Stücken und Referenzen, die inzwischen fest im kollektiven Gedächtnis sind, darunter natürlich auch das Lied der Munchkins, „Ding Dong the witch is dead“. (Ich bin sicher nicht der einzige, der dachte, das wäre aus Die Nackte Kanone.) Und dann ist da noch die „Vermutung der Vogelscheuche“.

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Ich geh mal davon aus, dass der zentrale Plot aus Wizard of Oz bekannt ist: Dorothy will vom Zauberer von Oz den Weg nach Hause gezeigt bekommen, der Löwe will mutig werden, der Blechmann möchte ein Herz, und die Vogelscheuche, der alte Strohkopf, möchte endlich intelligent sein. Am Ende bekommt natürlich jeder was er braucht, und als die Vogelscheuche ihr „Degree of thinkology“ verliehen bekommt, verkündet sie gleich stolz „The sum of the square roots of two sides of an isoceles triangle is equal to the square root of the remaining side.“ In der deutschen Fassung sagt er dagegen: „Die Summe der Quadrate über den Katheten eines rechtwinkligen Dreiecks ist gleich dem Quadrat über der Hypotenuse“. Nun, hätte man die Zeit, über den Spruch der Vogelscheuche nachzudenken, würde auffallen, dass am amerikanischen Satz etwas nicht stimmt, doch wegen des Tempos des Films ist es schwierig, den Fehler zu registrieren.

Die Generation vor uns hätte wohl noch gesagt, „Diese Amerikaner, nicht mal rechnen können sie!“ und hätte in der eigenen Borniertheit nicht gesehen, wie herrlich subversiv die Aussage ist. Aber wer wird hier eigentlich auf den Arm genommen? Ist es das Publikum, das sich von Diplomen und klug klingenden Aussagen gerne blenden lässt? Oder ist es eher der akademische Betrieb als solches, der in der amerikanischen Selbstwahrnehmung kein besonderes Ansehen genießt? Egal, es ist jedenfalls genau das, was ich an der amerikanischen Kultur so liebe. Es steckt meist mehr unter der Oberfläche, als man zunächst vermutet. Die deutsche Synchronisation hat den Text der Vogelscheuche erwartungsgemäß auf eine korrekte Aussage umgekrempelt. Eindeutigkeit ist uns hierzulande einfach wichtiger als Hintersinn.

Wer mehr über die Hintergründe der Annahme der Vogelscheuche erfahren möchte, dem lege ich Simon Singhs äußerst unterhaltsames Buch Homers letzter Satz – Die Simpsons und Mathematik ans Herz, denn auch bei den Simpsons wird der Satz der Vogelscheuche zitiert. Wahrscheinlich wurde erst durch Simon Singhs Buch über mathematische Anspielungen bei den Simpsons der sehr spezielle Witz aus Oz einem breiten Publikum bekannt. Ich kann die Lektüre nur wärmstens empfehlen.

Jan-Niklas: Ich würde so gerne etwas über Divinity: Original Sin 2 schreiben. Kann ich aber aus professionellen Gründen nicht. Mist. Aber dann fiel mir ein, dass es mal auf Kickstarter war. Genau wie sein Vorgänger, Pillars of Eternity und Numenera. Warum also nicht etwas über das Spiel schreiben, mit dem alles begann? Ich spreche natürlich von Wasteland 2… über das ich nichts schreiben werde, da ich es nicht durchbekam und es zu sperrig war. Stattdessen möchte ich über Wasteland 2: Director’s Cut schreiben, die verbesserte Version dieses Spiels die … immer noch sperrig ist, aber trotzdem irgendwie mehr Spaß machte.

Das liegt vor allem daran, dass sich der Director’s Cut noch etwas mehr wie Fallout 2 anfühlte, weil er Perks hatte und die Grafik noch etwas hübscher war. Natürlich blieb die atomare Wüste hauptsächlich braun, aber immerhin sind die Texturen jetzt schärfer. Die Rundenkämpfe gehen auch in Ordnung, auch wenn ich mal wieder feststelle, dass Schussgefechte im Rundenkampf nicht halb so spaßig sind wie Feuerbälle oder Erdbeben. Aber zum Glück hatte ich ja später einige Raketenwerfer im Gepäck, die zum Schluss alle Probleme lösten. Aber was gefiel mir denn nun wirklich an Wasteland 2: Director’s Cut? Ganz einfach: die Prämisse war einfach, aber effektiv. Als postapokylptischer Ranger renne ich im Ödland herum und stifte Frieden. Das motiviert den Weltverbesserer in mir und erklärt, warum ich mich die Angelegenheiten anderer Leute einmische. Ich muss Konflikte zwischen Interessengruppen klären und komme einer Verschwörung der Roboter auf die Spur, die uns immer noch töten wollen. Wasteland 2: Director’s Cut spielt sich teilweise wie ein Western und da ich Western mag, fühle ich mich wohl in dieser Welt. Es erzählt außerdem eine gute Geschichte und weiß mit einigen schrägen Fraktionen zu gefallen (darunter Mönche, die sich eine kleine Atombombe auf den Rücken schnallen), aber so richtig zu schätzen weiß man das Spiel erst, wenn man die Enden sieht. Dann erfahre ich welche Auswirkungen meine Entscheidungen hatten, genau wie in Fallout 2!

Je mehr Zeit ich in diese Welt investierte, desto besser sieht die Welt danach auch aus. Dafür habe ich auch hart gearbeitet und das ist vielleicht mein größtes Problem mit Wasteland 2: Director’s Cut: das Spiel fühlt sich teilweise wie Arbeit an. Meine Ranger latschen doch sehr lange durch die Wüste und die Kämpfe dauern wie gesagt doch etwas, wenn ich keinen Raketenwerfer in der Tasche habe. Aber was tut man nicht alles für den Weltfrieden. Durchspielen werde ich es bestimmt nicht noch einmal, aber danke möchte ich trotzdem sagen: danke inXile für euren erfolgreichen Kickstarter damals. Ohne euch gebe es all diese wunderschönen Rollenspiele nicht, in die ich so viel Zeit investierte. Nächstes Jahr schreibe ich dann aber doch etwas über Divinity: Original Sin 2. Bis dahin ist es aber noch etwas hin. Mist.

Daniel: „Wenn du dem Ork den Kopf mit der Axt spalten willst, dann lies weiter auf Seite 74.“  Ich erinnere mich noch ganz sentimental an die Abenteuerbücher meiner Kindheit. Ach, war das schön! Natürlich hatte ich immer den Finger in der Seite, um wieder zurückzublättern, falls ich sterben sollte. Um so mehr freue ich mich über die Renaissance dieser Bücher (bitte Bretterwisser Folge 98 hören). Die findet auch als Apps (siehe 80 DaysOut There und Sorcery 1-4) statt. Leider hat mein iPad keine Buchse zum Finger reinlegen. Abenteuerbücher gibt es jetzt auch als Brettspiele. Ich habe mit @Krimimaster 7th Continent gespielt. Das Projekt wurde über Kickstarter finanziert und ist für einen bis vier Entdecker. Das Setting ist denkbar einfach: Ihr seid auf einem fremden Kontinent gestrandet – dazu auch noch und verflucht.

Nein, der Fluch ist nicht die Tischdecke.

Also machen wir uns auf die Reise, um auf diesem siebten Kontinent einen Weg zu finden, den Fluch zu brechen. Dafür müssen wir den Nebel lüften und Herausforderungen bestehen. Statt eines Buches gibt es einen ausgeklügelten Zettelkasten. Der besteht aus den auf Karten übertragenen Buchseiten und einem blauen Aktionsdeck. Will man nun nach Osten reisen, muss man zwar keine Karte ziehen, aber auf der Rückseite der Nebelkarte kommt ein Ereignis, das sagt, ziehe zwei blaue Aktionskarten und erziele zwei Erfolge. Das sind Sterne auf diesen Karten. Schafft man es, geht es weiter, schafft man es nicht, gibt es oft einen Malus. Außerdem darf man eine blaue Karte behalten. Die restlichen Karten werden abgelegt. Denn diese Karten symbolisieren sowohl die Zeit als auch Ideen, die unsere Entdecker haben. Ich bin zum Beispiel mit der Idee von einem Floss rumgelaufen, die ich später umgesetzt habe. Eine mittelgute Idee, wie sich rausstellen sollte. Aber dazu mehr nach diesem Video.

Denn 7th Continent ist nicht ein Abenteuerbuch mit mehreren Wegen, sondern mehrere Abenteuerbücher auf einem Kontinent. Das haben wir auch zu spüren bekommen. Um unser Karte nach Norden zu folgen, mussten wir ein Meer überqueren. Aber durch meine geniale Floss-Idee hatten wir ein paar blaue Karten später ein Floss, mit dem wir besser übersetzen konnten. Besser heißt, wir lesen nicht bei Karte 43 weiter, sondern fünf Karten weiter. Bei 48. Natürlich dachten wir, dass wir eine Abkürzung genommen haben, doch waren wir ganz woanders auf dem siebten Kontinent und habe andere Dinge erlebt, die zu anderen Abenteuer geführt haben. So als würde man ein Abenteuerbuch die Seitenzahl verwechselt haben. Wir kamen auch nicht zurück und wollten unsere Finger nicht auf Karte 43 legen. Interessanterweise hat es trotzdem Spaß gemacht. Wir werden sicher noch mal zurückkehren zum 7th Continent.

Daniel: Abschließen würde ich das Währenddessen heute mit Pumps. Ist gerade eben in meinem Twitter-Feed aufgetaucht. Nein, ich habe keinen Fetisch, wundere mich nur, mit was für lustigen Collectibles DC und Cryptozoic daherkommen. Vorsicht ihr Aschenputtels da draussen, diese Schuhe sind nur 2,25 Inch groß:

Manolo Batnik

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Währenddessen … (KW 39)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: Ich befinde mich gerade irgendwo zwischen den Jahren 2019 und 2049. Um genau zu sein, hänge ich im Jahr 2022 fest. Um noch genauer zu sein, schaue ich gerade Blade Runner: Black Out 2022. Der kurze animierte Film soll als kleines Appetithäppchen für Denis Villeneuves neuen Blade Runner serviert werden. Servieren tut dieses Amuse-Gueule kein geringer als Anime-Regisseur Shinichirō Watanabe (Cowboy Bebop und Samurai Champloo). Aber zuerst mal zurück in die Zukunft, ins Jahr 2019. Ich habe mir letzte Woche als Einstimmung auf den neuen Film, den alten angesehen, als Director’s Cut. Ich mag Film Noir. Aber vor allem mag ich Harrison Ford, wie er versucht als Figur im Film die Rolle des starken Protagonisten einzunehmen – und doch eher Getriebener ist. Erst gegen Ende wird er zum Herr seiner eigenen Entscheidungen. Das Setting ist großartig und ich mag die Kostüme wirklich sehr. Und wie wird das 30 Jahre später aussehen? Die Erwartungen an Blade Runner 2049 sagen sehr viel mehr über unsere Gesellschaft aus, als das dem Film gelingen wird. Immer muss noch einer draufgesetzt werden: Action, CGI, Stimmung, Philosophie und Gesellschaftskritik. Der erste Blade Runner wollte das nicht. War es bei Ridley Scott doch vor allem die Ambiguität, die den Film ausmacht. Wer ist ein Replikant und wer nicht? Wer ist der handelnde Akteur? Verfolgt Harrison Ford Rutger Hauer oder andersherum? Der neue Anime von Watanabe funktioniert wie eine Entwöhnung. Er sagt, versprich dir nicht zu viel vom neuen Blade Runner!

In vielen Momenten funktionieren diese 15 Minuten animierter Action. Das Meinungsbild gegenüber Replikanten funktioniert. Die kurze Darstellung von Medien und Gesellschaft auch. Die Animationen funktionieren sicherlich am besten – vor allem passen sie wie auch bei Cowboy Bebop so wunderbar zur Musik. Nur die Handlung funktioniert nicht. 15 Minuten Blade Runner: Blackout 2022 hat ungefähr 10-mal so viel Handlung wie der erste Blade Runner ohne den Director’s Cut. Keine Zweideutigkeit, aber herrliche Action. Aus diesem Grund habe ich Angst, was Ryan Gosling machen wird. Hoffentlich repliziert Villeneuve wenigstens 15 Minuten der Stimmung des ersten Films.

Christian:

„Das ist nicht tot, was neu erscheint
Auf dass die Zeit Zensur verneint.“
(„That is not dead that comes anew,
The day all censorship is through.“)

Frei nach H. P. Lovecraft

Das ist ein schöner Tag. Panini hat Manaras Der goldene Esel neu aufgelegt – und diesmal darf der Esel endlich mal richtig ran. Ich freue mich mit dem Esel, denn Esel waren schon immer meine Lieblingstiere. Mehr muss ich dazu nicht sagen, denn man kann ja alles in unserem großen Comicgate-Artikel vom letzten Jahr nachlesen, in dem ich mich mit der vermeintlichen Zensur des Goldenen Esels näher beschäftigt habe. Im Grunde war es bei allen Beteiligten immer nur Selbstzensur. Da sieht man mal wieder, wie mächtig die Schere im Kopf doch ist. Und soll keiner sagen, das wären Luxusprobleme, denn wir wollen doch nicht nur Micky Maus und Knax lesen, oder? Ein Plädoyer gegen Selbstzensur will ich aber auch nicht halten. Ich halte Selbstzensur aus Pietäts- oder anderen Anstandsgründen durchaus für angemessen, aber gerade beim Esel war sicher niemand aus vernünftigen, sympathischen Gründen vorsichtig. Deshalb noch einmal einen herzlichen Dank an Panini für das schöne Buch. Ich habe es gleich am ersten Tag gekauft.

Das Eingangszitat „That is not dead …“ ist natürlich meine ganz persönliche Aneignung eines Verses aus H. P. Lovecrafts Cthulhu-Erzählungen. Der komplette Vers ist im sagenumwobenen Buch der Toten, Necronomicon ex Mortis, zu finden, aber damit erzähle ich Lovecraft-Nerds sicherlich nichts Neues. Deshalb folgende Frage: Aus welchem Bild stammt der Ausschnitt mit dem Grabstein, auf dem Lovecrafts Spruch in voller Länge zu lesen ist? Wer die Frage bis Ende der Woche beantwortet, wird im nächsten Währenddessen namentlich erwähnt und darf selbst eine Nerd-Frage an die Comicgate-Leser stellen. Ich freue mich auf rege Beteiligung.

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Währenddessen … (KW 41)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian„Da packt euch das kalte Grausen, unser David Bowie heißt Heinz Schenk“ (Rodgau Monotones). Und unser Wolverine heißt wie? DJ Ötzi? Anton aus Tirol? Nein, Gamsbart!!! – Also jetzt aber mal im Ernst: Diese Heinis sind Deutschlands Helden? Da muss aber noch ordentlich Überzeugungsarbeit geleistet werden, denn ganz überzeugt hat mich die erste Nummer von LDH – Liga deutscher Helden noch nicht. Immerhin: Die Back-Up Story von Gerhard Schlegel und Oliver Naatz, die während des Zweiten Weltkriegs spielt, macht neugierig auf mehr. Da hat einer seinen Jim Steranko studiert. Aber soll das so, dass die Zusatzgeschichten besser sind als die Hauptlinie? Eine ausführliche Besprechung wage ich aber erst nach dem ersten Run (Heft 1 bis 3) zu geben. Wäre ja nicht das erste Mal, das eine Reihe erst im zweiten Heft zu sich selbst findet.

(BTW: Die drei verschiedenen Titelbilder sind allesamt fantastisch.)

NiklasHenry Kuttners und C.L. Moores The Dark World ist nur knapp hundert Seiten lang, die Handlung wird sprunghaft erzählt, das Worldbuilding ist fragmentiert und die Eigenschaften der Nebenfiguren werden in geraffter Form von der Hauptfigur als Ich-Erzähler vorgekaut. Der Twist: Der Hauptcharakter hat eine gespaltene Persönlichkeit, war vor seiner Reise in die neue Welt ein Veteran des zweiten Weltkriegs und da wir nur seine Perspektive kennen, öffnet das die Geschichte für Interpretationen. Oder auch nicht, da The Dark World eine Pulp-Novelle aus der Glanzzeit der Schundhefte ist. Über diese billigen Geschichten soll man nicht nachdenken. Das ich es trotzdem tue, liegt nicht am Inhalt, sondern die Art wie es erzählt wird oder besser gesagt, was nicht erzählt wird.

Gene Wolfes Shadow of the Torturer hat mich für eine Figur sensibilisiert, die den Leser (und sich selbst) belügt und bei der man jeden dritten Satz analysieren sollte, da man ihre Welt nur nebenbei kennenlernt. Das macht Sinn macht, da der Hauptcharakter diese Welt im Gegensatz zu uns bereits kennt und er für ein Publikum schreibt, das weiß wovon er erzählt. So raffiniert ist The Dark World nicht, aber ich finde es interessant diese Figur im Kontext seiner Zeit zu berücksichtigen: ein Veteran, der aus dem Krieg zurückkehrt und sich zu Beginn noch nicht wieder eingelebt hat. Wahrscheinlich hat er noch Alpträume und kann kaum einen klaren Gedanken fassen, weswegen die Geschichte auch so hastig und teilweise unfokussiert erzählt wird. Und wenn in seiner Brust der nette Soldat Amerikas und ein blutrünstiger Kriegsherr in seiner Brust um die Vorherrschaft kämpfen, vielleicht ist es ja doch ein Symbol dafür, dass er um seine eigene geistige Gesundheit kämpft, wenn nicht gar um seine Seele kämpfen muss. Bei einer dunklen Welt denke ich auch an das Unterbewusstsein und vielleicht muss man dann grausame Werwölfe aus einer ganz anderen Perspektive betrachten. Ich weiß es nicht, da die Geschichte mit Hinweisen geizt und die Prosa sich teilweise wie ein Fiebertraum liest, aber diese Stilmittel schließen nicht aus, dass ich Unrecht habe. Wir müssen uns auf den Erzähler verlassen, da seine Sicht die einzige ist, die wir haben. Aber können wir uns wirklich auf jemanden verlassen, der achtzig Prozent der Zeit um seine eigene Identität kämpft? Wahrscheinlich interpretiere ich zu viel rein, nur um nicht zugeben zu müssen, dass ich nur unterhaltsamen Schund gelesen habe. Soll mir recht sein. Immerhin hat es Spaß gemacht!

Daniel: Ich und Orks – ein Match made in Mordor. Nachdem ich extra für das Videospiel Shadow of Mordor vor drei Jahren meine alte XBox 360 gegen eine Playstation 4 getauscht habe, musste ich die Fortsetzung Shadow of War einfach testen. Beide Spiele eint das sogenannte Nemesis-System. Dabei erstellt das Spiel für jeden einzelnen Möchtegern-Talion, so heißt der Waldläufer/Protagonist der Geschichte, seine ganz eigenen orkoiden Endgegner. Diese stellen sich zusammen aus 1. einem dümmlichen Gesicht, 2. einem Krankenblatt voll mit Stärken und Schwächen und 3. einem ziemlich miesen Anmachspruch: „Schön, dass du deine Mutter auch mitgebracht hast“, musste ich mir von einem Ork sagen lassen, der mich auf meinem stolzen Reittier im ersten Teil des Spiels antraf. Warum liegt der Schatten jetzt nicht mehr über Mordor, sondern um dem Krieg? Weil der untote Talion – in Begleitung des geisterhaften Elbenschmieds Celebrimbor, den dunklen Lord Sauron direkt konfrontiert. Als der helle Lord, mit eigenem Ring und eigener Orkarmee. Waren im ersten Teil Orks nur Feinde, stellt man nun eigene Armeen auf und wohnt mit denen in den Festungen Mordors.

Die eigene Orkarmee und die absurden Geschichten, die sich aus dem Nemesis-System entspinnen, machen das Spiel zu einem grotesken Spaß. Eigentlich will man total seriös für Mittelerde kämpfen und dann nervt mich die ganze Zeit dieser eine Ork, Ronk the Hacker, der einfach nicht sterben will. Mittlerweile habe ich ihn das fünfte Mal getroffen, mit meinem Schwert, mit meinem Bogen und meinem Dolch. Lass mich endlich in Ruhe, Ronk!

Mein Kurztest „Tinder mit Orks“ für SZ.de.

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Währenddessen … (KW 45)

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Thomas: Schön, dass man sich bei den Marvel Studios offensichtlich entschieden hat, sich vom prätentiös-ernsthaften, düsteren Ton der Konkurrenz DC abzugrenzen, indem man die eigenen Filme noch entschiedener mit Humor würzt als bisher schon. Aktuell zu bewundern am Beispiel von Thor: Ragnarok, das man in die Hände des neuseeländischen Regisseurs Taika Waititi gelegt hat, der bisher für seine schrägen Indie-Komödien bekannt war. Und tatsächlich ist hier – anders als bei den meisten anderen Blockbustern dieses Kalibers – tatsächlich eine Art Handschrift des Regisseurs spürbar. Bei allem Spektakel, das so ein Film selbstverständlich liefert, legt Thor 3 viel Wert auf zwischenmenschliche Momente, auf Dialoge, auf die Figuren und ihre Eigenheiten. Waititi ließ sein Ensemble stellenweise sogar improvisieren, was den munteren Dialogen sehr gut tut.

Ehrlich gesagt wäre die wilde Mischung aus Fantasy, Mythologie, Science Fiction und Superhelden-Action, in der Götter, Monster und Kriegerinnen ebenso selbstverständlich ihren Platz haben wie Raumschiffe, Gladiatoren und der Hulk, ohne eine große Portion Humor auch schwer zu ertragen. Ein Humor übrigens, der leichter, spielerischer und herzlicher rüberkommt als die doch recht angestrengt um Schenkelklopfer bemühte Gaudi-Parade der Kollegen von den Guardians of the Galaxy. Da zahlt es sich dann auch aus, hochklassige Schauspieler wie Hiddleston, Blanchett oder Cumberbatch an Bord zu haben, die problemlos zwischen Pathos, Ernsthaftigkeit und Witz changieren können, ohne dass es je peinlich zu werden droht.

Das eigentliche Highlight aber, das Thor: Tag der Entscheidung (so der unnötig eingedeutschte Titel) über andere Filme des Genres hinausstrahlen lässt, ist seine Ausstattung: Noch nie haben sich die Designer von Kulissen und Kostümen, Waffen und Raumschiffen so offensichtlich an die Comics von Jack Kirby angelehnt wie hier. Kirbys charakteristische Formen und Farben, sein Sinn für surrealen Bombast, all das ist deutlich wiedererkennbar in den zahlreichen Szenen, die auf dem Müllplaneten Sakaar spielen, wo Jeff Goldblum das Volk mit Brot und Spielen beherrscht. Ein visuelles Schmankerl und gleichzeitig eine längst überfällige Ehrerbietung für diesen famosen Künstler, der vor ein paar Wochen 100 Jahre alt geworden wäre und ohne dessen Kreativität und Fabulierlust das gesamte Marvel-Universum, das heute Millionen von Dollars umsetzt, schlicht nicht existieren würde.

Daniel: Es macht immer viel Spaß, die Texte der Kollegen zu redigieren. Nur dann nicht, wenn man selbst noch vor hat, das Besprochene zu sehen, lesen oder spielen. Na ja, ich bin selber schuld. Hätte ich Thor schon vergangene Woche angucken können. Da war ich aber leider immer noch geistig mit der Brettspiel-Messe in Essen beschäftigt, der SPIEL 2017. Da fahre ich nun schon seit sechs Jahren hin und bade vier Tage lang in einem Meer aus Karton – und den gleichen Menschen mit ihren Hackenporsches, die auch auf Comicmessen rumlaufen. Bei über 1000 Neuheiten und 180.000 Besuchern kann man sich vorstellen, dass diese Publikumsmesse etwas anstrengend ist. Und dennoch ist es ganz anders als auf einer Comicmesse.

Auf der SPIEL kann man jeden Spieleautor oder -illustrator ansprechen und vielleicht sogar eine Partie mit ihm spielen. Man setzt sich an Tische und spielt einfach los. Okay, oftmals sind alle Tische besetzt und plötzlich sitzt man ganz woanders mit Wildfremden und spielt sich aus seiner Komfortzone heraus. Es gibt vom simpelsten Kinderspiel bis hin zur komplexesten Simulation wirklich alles.

Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bemannen.

Für dieses Bild habe ich an einem Tisch beim Kosmos-Stand angehalten, um mit den Spielern zu sprechen: Fühlt sich das noch wie Siedler von Catan an? Die Frau im grünen Strickpullover blickt kurz von ihren Karten auf. “Ja, und wie Westeros.” Eine knappe Antwort im Namen der ganzen Familie – ihr Mann schlägt gerade eine Regel nach, die Kinder schieben einen Riesen übers Brett –, schon ist sie wieder ins Spiel vertieft. Um den Tisch herum ist es laut, es ist Brettspielmesse in Essen, das Publikum drängt durch die Flure. Die Familie stört das nicht. Sie interessiert sich nur noch für Holz, Lehm, Schafe und für die Mauer. Auch dass auf Deutschlands bekanntestem Spielbrett plötzlich eine Mauer steht, scheint hier niemanden zu stören. Im Gegenteil, das Bollwerk aus Plastik zieht die Messebesucher an den Stand.

Natürlich erwartet man an dieser Stelle, dass ich das oder die besten Spiele empfehle – aber die gibt es nicht. Denn jeder Spieler ist anders. Mir bereitet es Freude, Bäume zu pflanzen und Bücher alphabetisch einzusortieren. Der nächste mag vielleicht etwas ganz anderes. Wenn ihr eine Empfehlung wollt, vielleicht auch für Weihnachten, dann schreibt mir oder in die Kommentare.

Meine Spiele-Artikel für die Süddeutsche Zeitung könnt ihr hier nachlesen. 

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Währenddessen … (KW 48)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: „Universal wollte nicht, dass die Zuschauer mich für ein Arschloch halten.“ Damit erklärt der Schauspieler Jim Carrey, das Aufnahmen vom Set von Man on the Moon nicht veröffentlicht wurden. Fast Zwanzig Jahre nachdem Carrey  den Komiker Andy Kaufmann verkörperte, zeigt Netflix nun eben diese Aufnahmen als Dokumentation Jim & Andy: the Great Beyond. Weder beim Anschauen noch danach, dachte ich mir, Jim Carrey sei ein Arschloch. Vielmehr habe ich fast die ganze Zeit durchgelacht. An den Stellen, an denen ich nicht gelacht habe, musste ich fast weinen. Eineinhalb Stunden lang raste mein Hirn.

Aber spulen wir kurz zurück für einen kleinen Kontextabsatz. Der amerikanische Komiker Andy Kaufmann ist nicht zu vergleichen mit anderen Komikern: In den 70er Jahren traf sein bizarrer Anti-Humor auf das amerikanische Zuschauer. Kaufmanns Humor bettelte aber nicht um Lacher. Er machte, was er wollte und brachte mit bizarren Showeinlagen Menschen zum Nachdenken. Als Intergender-Champion wrestelte er nur gegen Frauen, zu einer Zeit als der Feminismus seine Hochphase erlebte. In seinen Karaoke-Einlagen brilliert er nur beim Refrain und bleibt sonst stumm. Seine Sendung zeigte absichtlich ein Testbild, bis Zuschauer beim Sender anriefen. Besser als Jan Böhmermann heute und Harald Schmidt gestern gelang es Kaufmann, das Publikum zu irritieren.

Enter Jim Carry: Die 90er Jahre wiederum wurden humormäßig durch Jim Carrey geprägt. Ein Mensch, der sich vor der Kamera die Nasenlöcher mit den Fingern hochzieht und aus einem Nashorn geboren wird. Ein Quatsch-Komiker, ein Gestengott, ein Körperkünstler. Nach mehreren Quatschkomödien und dem Durchbruch mit der Truman Show nimmt Carrey die Rolle als Kaufmann in Man on the Moon an und brilliert. Als ich 1999 aus dem Kino ging, war ich verzaubert. Wer ist dieser Kaufmann und warum hat sich Carrey in ihn verwandelt? Erst Jim & Andy: the Great Beyond gibt Antworten auf diese Frage. Dazu muss man den sehenswerten Mondmann nicht noch einmal sehen. Es reicht, sich aufs Sofa zu setzen und dem altersweisen Carrey inklusive Rauschebart zu lauschen. Denn der Dokumentarfilm handelt eben so viel von seinem Leben, wie von Kaufmanns.

Eine Doku wie ein Schabernack – ohne Unterbrechung. Bei den Dreharbeiten – das zeigt die Dokumentation – bricht Carrey fast nie aus seiner Rolle als Kaufmann aus. Schlimmer noch, er spielt auch Kaufmanns Alter Ego Toni Clifton, beleidigt andere Schauspieler, verweigert Regisseur Milos Forman den Kontakt zu Jim Carrey. In kurz: Er treibt Kaufmanns Humor auf die Spitze, bis zu dem Punkt, an dem man sich fragt, wer ist eigentlich dieser Jim Carrey, in den sich Andy Kaufmann nach dem Dreh wieder zurückverwandeln muss? Eine beeindruckend mächtige Doku über zwei Komiker in einem Film.

Thomas: Was Coco, den neuen Film der Pixar-Studios, angeht, bin ich einigermaßen zwiegespalten. Es gibt Einiges, was ich an dem Film mag. Im Gesamteindruck fand ich ihn dann aber doch enttäuschend. Coco erzählt die Geschichte eines kleinen mexikanischen Jungen namens – nein, nicht Coco! – Miguel, der davon träumt, Musiker zu werden. Allerdings gilt in seiner Familie seit Generationen ein strenger Musikbann; alles Musikalische ist streng verboten und Miguel muss seiner Leidenschaft im Geheimen nachgehen. Dies führt ihn schließlich am groß gefeierten Día de los Muertos in die Welt der Toten, wo er auf die verstorbenen Mitglieder seiner Familie ebenso trifft auf sein großes Idol- und auf den legendären Sänger Ernesto de la Cruz. Er selber ist aber gar nicht tot und muss nun versuchen, wieder zurück in die Welt der Lebenden zu kommen.

Das große Verdienst des Films ist sicher, dass er es schafft, das Thema Tod spielerisch, originell und einfühlsam in einen kindgerechten Mainstream-Film zu packen. Man wird, wenn man Coco mit Kindern gesehen hat, nicht darum herumkommen, über Tod und Sterblichkeit zu sprechen. Vermutlich ist das schon ein wagemutiger Schritt für einen solchen Film, der ja gleichzeitig auch ein Bedürfnis nach kuscheliger (Vor-)Weihnachtsunterhaltung befriedigen und möglichst auch eine Menge Merchandise verkaufen möchte. Für noch mehr Subversion war dann allerdings kein Platz mehr: Wenn man mal davon absieht, dass in Coco allerhand Tote herumlaufen, hat der Film kaum Ecken und Kanten und erzählt seine nicht allzu originelle Geschichte sehr stromlinienförmig.

Löblich ist wiederum die Tatsache, dass die Geschichte durchgehend in Mexiko und der dortigen Kultur angesiedelt ist und komplett von nicht-weißen Figuren dominiert wird. Das Setting dient nicht nur als exotischer Hintergrund, sondern ist Dreh- und Angelpunkt der Story. Zwar schrammt man dabei auch gefährlich nahe am Ethno-Kitsch und entwirft eine idealisierte, leicht konsumierbare Mariachi-Welt, die mit der Realität der mexikanischen Gegenwart wenig zu tun hat. Soweit ich das beurteilen kann, geht Pixar trotzdem respektvoll mit der mexikanischen Kultur um. Co-Regisseur und Co-Autor Adrian Molina ist mexikanischer Abstammung, außerdem holte man sich etliche kulturelle Berater an Bord, darunter den Comiczeichner Lalo Alcaraz (La Cucaracha). Dass das funktioniert hat, zeigt sich auch im überwältigenden Erfolg des Films in Mexiko, wo er schon seit Ende Oktober läuft und zum finanziell erfolgreichsten Kinofilm aller Zeiten wurde.

Coco erzählt eine warmherzige, sympathische Geschichte, sieht – vor allem in den Szenen in der Totenwelt – wunderschön aus und ist animationstechnisch mal wieder makellos gemacht. Und trotzdem kann der Film aus meiner Sicht mit großen Pixar-Klassikern wie Toy Story oder den Incredibles nicht mithalten. Es fehlt an originellen Figuren und Szenen, die Lust machen, den Film nochmal zu sehen. Vielleicht steckt in Coco zu wenig Pixar und zu viel Disney, was sich auch in den vielen Gesangseinlagen und dem überdeutlichen Loblied auf die Familie zeigt. Ich jedenfalls musste während der Vorführung mehrmals seufzend an Tim Burtons Corpse Bride denken, der ein ähnliches Thema mit mehr Düsternis behandelt. Und dann gibt’s da ja noch den von Guillermo del Toro produzierten Trickfilm The Book of Life von 2014, der sich genau wie Coco ebenfalls um den Tag der Toten dreht und womöglich der stärkere Film ist.

Stefan: Beim Kamingespräch zum Punisher hatten wir diese Woche gerade festgestellt, dass uns, die wir schon eine Weile aus der Schulzeit heraus sind, die Marvel-Serien von Netflix deutlich besser gefallen als die von DC. Immer wieder gibt es aber gute bis überdurchschnittliche Momente in diesen Serien. Mit dem Crossover-Event in dieser Woche lassen die DC-Shows mal ordentlich die Muskeln spielen. Vier sind es insgesamt: je eine Folge von Supergirl, The Flash, Legends of Tomorrow und Arrow erzählen die Story namens „Crisis on Earth-X“. Flash-Zuschauer bzw. -leser wissen, dass es bei DC ein Multiversum gibt – mehrere Universen in einem. Jedes mit seiner eigenen Variation der Erde. So hat zum Beispiel auf Erde-X Hitler den Krieg gewonnen und nach seinem Tod ist Deutschland noch immer die dominierende Macht, eine düstere Welt voller Hakenkreuzsymbole. In dieser Parallelwelt trägt Supergirl Runen der Schutzstaffel auf der Brust statt dem gewohnten S und sorgt damit für emotional aufgeladene, durchaus verstörende Bilder. Dabei steht doch eigentlich die Hochzeit zwischen Barry Allen / The Flash und Iris West im Zentrum der Geschehnisse, zu deren Fest sind Arrow, die Legends und Co. eingeladen. Allein die schiere Masse an bekannten Superhelden macht dieses Event sehenswert.

Christian:  Völlig spontan habe ich mir kürzlich am Bahnhof die kleine Jimi Hendrix-Biografie von Reclam gekauft, die anlässlich dessen anstehenden 75. Geburtstags erschien. Es war durchaus zu befürchten, dass das dünne Buch arg reduziert sein könnte. Schließlich umfassen andere Biografien locker den fünffachen Umfang, aber das Buch ist außerordentlich gut aufbereitet. Von Hendrix‘ Familiengeschichte bekommt man nur einen notwendigen kurzen Abriss, der Rest ist Analyse seiner Persönlichkeit, seiner Technik und seiner Songs. Also der Teil, der uns auch am meisten interessieren sollte. Volle 28 Seiten des 100-seitigen Bändchens drehen sich um die Stücke Hey Joe, Purple Haze, All Along the Watchtower, Little Wing, Voodoo Child und The Star Spangled Banner. Zwölf davon allein für All Along The Watchtower. Dabei gelingt es Hannes Fricke, dem Stück seine Würde zurückzugeben. Lange Zeit wurde All Along the Watchtower, welches ursprünglich ja von Bob Dylan ist, recht eindeutig interpretiert: Der „Joker“ im Text ist Bob Dylan und der „Thief“ ist sein Manager, die sich beim Autofahren unterhalten und später im Büro sitzen und die Sirenen der Stadt hören. Mir kam regelmäßig das kalte Grausen, wenn ich diesen atemberaubenden Song mit solchen Bildern in Verbindung brachte. Fricke jedoch erinnert uns daran, dass Hendrix sicher nicht solchen Bullshit im Sinn hatte. Sein Kopf war voll mit Science-Fiction-Motiven, von daher liegen eher biblische und apokalyptische Assoziationen nahe. Gut, dass mal klargestellt wurde, dass man das Stück vielleicht doch anders rezipieren sollte, als es viele fantasielose Studienräte tun, die ihre Schüler zu allzu eindeutigen Interpretationen nötigen.

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Währenddessen … (KW 51)

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Niklas: Jedes Mal wenn ich ein Buch von Ursula K. Le Guin lese, nehme ich mir jedes Mal vor, mehr Bücher von Ursula K. Le Guin zu lesen. Allerdings fällt mir dann beim Lesen eines Romans von Ursula K. Le Guin auf, warum ich nicht öfter Bücher von Ursula K. Le Guin lese. Liest sich vielleicht kompliziert, ist aber im Grunde sehr einfach: ihre Bücher sind intelligent, einfühlsam und gehaltsam, aber auch gemächlich und man sollte sich ganz auf ihre Geschichten einlassen, ansonsten wird man mit dieser Lektüre keinen Spaß haben.

Denn Le Guins Roman Winterplanet (im Original The Left Hand of Darkness) ist ein interessantes Gedankenexperiment darüber, wie eine Welt aussehen würde, in der eine eingeschlechtliche Menschenart nur wenige Tage lang einen Sexualtrieb empfindet und in dieser Zeit geschwängert werden kann. Dabei ist es vollkommen willkürlich, wer plötzlich die nötigen Voraussetzungen für eine Schwangerschaft besitzt. Klingt doch perfekt, diese Welt müsste also ein wahres Utopia sein, in dem es keine Vorurteile und Ungerechtigkeit gibt oder? Falsch.

Es gibt viel mehr Möglichkeiten, Andere zu unterdrücken, wie Le Guin anhand zweier Gesellschaften aufzeigt. Eine Nation ist ein feudales Königreich, aufgeteilt in zerstrittene Fürstentümer und Clans, die andere eine Bürokratie, in der vor dem Gesetz alle gleich sind, aber letztendlich am Ende doch einige wenige wieder die Strippen ziehen. Eine Gesellschaft muss tiefer gehen, um wirklich besser zu werden. Um diese starren Strukturen aufzubrechen, muss es zu Veränderungen kommen. Veränderungen, die ein einfacher Anthropologe von der Erde mit seiner bloßen Anwesenheit heraufbeschwört, aber die Machthaber auch in Angst und Schrecken versetzt. Le Guin erzählt diese Geschichte nicht als ein Kriegsepos, sondern mehr als eine philosophische Reise, in der wir durch die Augen des Anthropologen diese Welt kennen und verstehen lernen, was auch eines der Themen des Buches ist. Das augenscheinlich Fremde kann verstanden und Gemeinsamkeiten gefunden werden. Wird es einfach sein? Nein, das zeigt die Gewalt, der der Protagonist durch staatliche Organe ausgesetzt wird. Ist es den ganzen Ärger wert? Ja, wenn man sieht, was für eine tiefe Beziehung die Hauptfigur mit einem sehr wichtigen Nebencharakter eingeht. Es bedarf nur ein wenig an Geduld und Hingabe, so wie der Winterplanet selbst.

Der Schreibstil ist mir manchmal ein wenig zu blumig und wie schon geschrieben, braucht man einen wachen Geist, um sich wirklich auf das Buch einzulassen. Aber wenn man es tut, merkt man wie zeitlos die Bücher dieser Autorin eigentlich sind und wie ihre fantasievollen Welten sogar neugierig auf die Zukunft machen können.

PS: Außerdem war der Winterplanet mein achtzigstes Buch in diesem Jahr. Kein schlechter Abschluss, würde ich sagen.

Christian: „Another truck stop on the way, Another game I learn to play, Another word I learn to say“, das sang schon Lemmy 1980 in We are the road crew. Ich habe heute auch einen neuen Begriff gelernt: „Accumulative Song“. Das sind Musikstücke, die immer länger werden, weil bei jeder neuen Strophe die vorhergegangenen Strophen auch mitgesungen werden müssen. Ein übles Beispiel, das ich noch aus meiner Kindheit kenne, ist das berüchtigte Lied von der Hobelbank: „Ist das nicht die Hobelbank, ja das ist die Hobelbank, ist die nicht gar blitzeblank, ja die ist gar blitzeblank, Hobelbank, blitzeblank. Oh du schöne Hobelhobelbank, heute sind wir bsoffn, morgen sind wir krank. Ist das nicht der Adenauer, ja das ist der Adenauer, war das nicht ein ganz ein schlauer, ja das war ein ganz ein Schlauer, Adenauer, ganz ein schlauer, Hobelbank, blitzeblank, oh du schöne ….“. Genau das richtige für Besoffene eben. Davon gibt’s hunderte Varianten. Ist ja auch schon über hundert Jahre alt.

Auch das alte Volkslied Drunt in der Grünen Au gehört zu dieser Gattung. Darin geht es um einen Birnbaum, an dem ein Ast hängt, an dem ein Astl hängt, an dem ein Zweigerl hängt, an dem ein Blattl hängt, auf dem ein Nestl sitzt, in dem ein Ei liegt, in dem ein Vogerl ist, an dem ein Federl hängt, aus dem ein Bettl wird, in dem ein Madl liegt, das ein Kindl kriegt, das ein Baumerl pflanzt, das ein Zweigerl hat und wieder von vorne. Ich kann jetzt nicht gerade behaupten, dass ich vom Birnbaumlied ein großer Fan bin, trotzdem war ich ziemlich von den Socken, als ich sah, dass ein nahezu inhaltsgleiches Lied im 70er Jahre Horrorfilm The Wicker Man gesungen wird:

In the woods there grew a tree,
And a very fine tree was he.
And on that tree there was a limb,
And on that limb there was a branch,
And on that branch there was a spray,
And on that spray there was a nest,
And in that nest there was an egg,
And in that egg there was a bird,
And on that bird there was a feather,
And on that feather was a bed,
And on that bed there was a girl,
And on that girl there was a man,
And from that man there was a seed.
And from that seed there was a boy,
And from that boy there was man,
And from that man there was a grave,
And on that grave there grew a tree.
In the Summerisle wood.

Der Tree Song ist viel schneller als die behäbige Grüne Au, aber es akkumuliert auf die gleiche Weise und hat den gleichen Inhalt. Da möchte man doch gerne nach weiteren Gemeinsamkeiten forschen.

Auch die Weihnachtszeit hat ihre Accumulative Songs, z.B. Bob Dylans „Must be Santa, zu finden auf seiner herrlich swingenden Christmas in the Heart. Sicher schon mehrere hundert Jahre alt ist auch das altbekannte 12 Days of Christmas, zumindest in der Chant-Version. Die Melodie, vor allem mit dem gedehnten „Five Golden Rings“ gibt es allerdings erst seit knapp 100 Jahren. Gerade die wiederkehrende Passage „Five Golden Rings“ hat das Stück enorm populär werden lassen. Ich habe vor einigen Jahren selbst mal miterlebt, wie Schulkinder auf der Isle of Man in der Vorweihnachtszeit von Tür zu Tür zogen und die 12 Days of Christmas geträllert haben.

Da ging die Post ab. Eine schöne, witzige Version des Lieds hat John Denver mit den Muppets eingesungen, für mich jedes Jahr die ideale Einstimmung auf die Weihnachtszeit. Natürlich gibt es von den 12 Days unzählige Variationen und Parodien, z. B. von Shrek, den Disney-Prinzessinen oder den Simpsons (hier und hier). Aber es gibt unzählig viele Versionen. Einfach mal selbst googeln.

Fröhliche Feiertage.

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Währenddessen … (KW 6)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: Letzte Woche musste das Währenddessen leider ausfallen, da ich mich in Nürnberg auf der Spielwarenmesse umgesehen hab. Ich geh da natürlich nur für die Brettspiele hin. Doch kommt man an den anderen elf Hallen kaum vorbei. Eine ist vollgestopft mit Karnevalskostümen, in einer anderen wohnen nur Teddies und der dritten bewegt sich alles ferngesteuert. Wenn man endlich in Halle 10 angekommen ist, riecht man irgendwie nach Plüsch und Plastik. Dort habe ich den ganzen Tag verbracht und mir viele Spiele zeigen lassen, die alle noch nicht erschienen sind. Was ich genau für Spiele angesehen habe, werde ich euch in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Wenn ihr dennoch was von mir lesen wollt, könnt ihr euch dieses große Interview in der SZ kaufen, das ich mit Brettspielerfinder Eric Lang (Game of Thrones-Kartenspiel) geführt habe. Auf welches Spiel ich mich aus Nürnberg am meisten freuen? Das erzählen euch die freundlichen Briten von Shut up and Sit down:

Christian: Derzeit lese ich Upton Sinclairs grandiosen Roman Öl von 1927. Darin geht es um den jungen Bunny, Sohn eines Ölbarons, der zwischen familiären Verpflichtungen und persönlichen Wertvorstellungen hin und hergerissen ist. Sinclair zeichnet anschaulich auf, wie der Ölboom weltweite Verflechtungen nach sich zieht. Sei es der erste Weltkrieg oder die russische Revolution, nichts bleibt ohne Folgen und wird auch für den kleine Arbeitnehmer auf dem Ölfeld spürbar. Auf einmal versteht man wieder den Antagonismus zwischen arm und reich, und auch Entwicklungen, die man heute schnell als Verschwörungstheorien abtut, werden plausibel. Alles in allem eine wertvolle, bereichernde Lektüre, zumal Upton Sinclair ein sympathischer Erzähler ist. Aber Vorsicht, Sinclair kann mit einem Mal auch auf sarkastisch und böse umschalten. Nicht umsonst heißt die Verfilmung des Buchs There will be Blood. Hart, unterhaltsam, aufklärend, außerdem hervorragend übersetzt: Öl ist eine Entdeckung wert.

Nebenbei habe ich zum ersten Mal Charlie Chaplins Modern Times (1936) im Kino gesehen, der den Kapitalismus ebenfalls sehr pointiert aufs Korn nimmt. Neben Sinclairs Roman ist dies damit schon das zweite aus dem frühen Zwanzigsten Jahrhundert stammende Zeitdokument, das auf authentische Weise das Elend der arbeitenden Bevölkerung in den Fokus rückt, nur dass Sinclairs Roman die Reportage, Chaplins Film dagegen die zugehörige Farce ist.

(BTW: Dabei war ich früher nie der große Chaplin-Fan sondern stand eher auf Stan und Ollie. Ganz wie Jesse Cuter und Cassidy in Preacher, die sich in Preacher-Heft 13 einig sind, dass nur Stan und Ollie-Fans auf echte Stories und gute Plots stehen, während bei Chaplin alles der Formel „Style-over-Content“ geopfert wird. Ausgerechnet Preacher, eine sinnfreie Kolportage, wie sie nur in den 90ern rausgehauen werden konnte und die nur funktioniert, weil Steve Dillon einen so einnehmenden Zeichenstil hat. Preacher ist doch 100% style und zero content. Macht nix, Style allein hat auch seinen Wert, aber wer Content will sollte Upton Sinclair lesen – oder Chaplin gucken, der bringt beides, Style und Content. Modern Times war für mich jedenfalls die Wiederentdeckung des Jahres, und das nicht ganz billige Ticket für die Vorführung mit Orchester war jeden Cent wert.)

Verfilmt wurde Sinclairs Roman vor einigen Jahren mit dem Titel „There will be blood“.

 


Daniel
: Du hast Superheldenkräfte? Nee, is klar. Du kannst mit deinen Gedanken die Realität verändern? Warum steckst du deine Arme nicht erstmal durch diese weißen Ärmel, die ich dann hinter deinem Rücken zusammenbinden. Dann bring ich dich in eine gepolsterte Zelle. Dort kannst du dich mit Legion unterhalten, dem Held der neuen gleichnamigen FX-Serie. Der Pilot von Legion ist reichlich abgedreht. Im Marvel-Comic-Universum ist David Haller, Legions richtiger Name, der Sohn von Charles Xavier und Gabrielle Haller. Durch seine gespaltene Persönlichkeit besitzt Legion eine schier unendlich, aber auch unkontrollierbare psychische Kraft, ein gestörtes Abbild seines Vaters. In der neuen Fernsehserie möchte David doch einfach nur aus der Klappse. Alles was er gemacht hat, ist ein bisschen Besteck fliegen zu lassen. Die Serie spielt wie X-Men First Class in den 60ern und der Anfang erinnert an eine poppig bunte Version von Einer flog über das Kuckucksnest. David ist ganz normal und gleichzeitig ist er McMurphy und „Häuptling“ Chief Bromden in einer Person. Zuschauer, die schizophrene Protagonisten gewöhnt sind, überlegen sofort, welche Figur in der Klappse nur ein Aspekt von David ist und was eigentlich real ist. In Legion zeigt Autor und Regisseur Noah Hawley (Fargo, die Serie) auf erfrischende Weise, dass man auch mit wenig Spandex und ohne Alltagsprobleme eine Geschichte über Superhelden erzählen kann. Soundtrack, Choreo und Casting sind grundsolide und machen Lust auf die zweite Folge nächste Woche.

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Topcomics 2017 – Unsere Favoriten des letzten Jahres

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Wie immer, wenn das neue Jahr gerade so anfängt, schauen wir zurück auf die besten Comics, die wir im vergangenen Jahr gelesen haben. Ein Teil der Comicgate-Autoren hat wieder seine  Lieblingscomics des letzten Jahres zusammengestellt. Darunter ein paar der üblichen Verdächtigen, aber auch einige echte Überraschungen. Hier sind unsere Topcomics 2017 – mal mit, mal ohne Ranking.

Unsere Topcomics der Vorjahre: 200920102011, 201220132014, 2015 und 2016.

DIE TOP 3 VON GERRIT LUNGERSHAUSEN

Capricorn Gesamtausgabe 3 & 4 (von 7)
von Andreas
Schreiber & Leser

Die meisten der wahrscheinlich besten Comics des Jahres habe ich noch gar nicht gelesen. Aber die Gesamtausgabe der Capricorn-Serie des französischen Comic-Genies Andreas entschädigt dafür ganz und gar, die Neuerscheinungen von Marc-Antoine Mathieu (Otto), Manu Larcenet (Brodecks Bericht) oder Frank Miller (DK III) – ich weiß, letzterer ist Geschmackssache – noch nicht gesehen zu haben. Capricorn ist eine französische Serie (1996–2017) um den ermittelnden Astrologen Cap, der sich zwischen diversen Geheimorganisationen und allerlei dunklen Mächten behaupten muss. Das beeindruckende Seitenlayout von Andreas lässt einen sprachlos staunen, und die enorme Komplexität der divergierenden Interessen aller Figuren kann es absolut mit den politischen Hahnenkämpfen bundesdeutscher Sondierungsgespräche aufnehmen. [Zu Gerrits ausführlicher Capricorn-Rezension]

 

Nick Cave – Mercy On Me
von Reinhard Kleist
Carlsen Verlag

Nach Johnny Cash (2006) und Elvis Presley (2007) ist Starcomicbiograph Reinhard Kleist nun in das musikalische Niemandsland ausgewandert und hat dem künstlerischen Anarcho-Allrounder Nick Cave einen Comic gewidmet. Graphisch begeistert mich der expressive Strich Kleists mehr als jemals zuvor. Nick Caves Leben wird in wilden Sprüngen erzählt, hagiographischer Mythos und biographische Wirklichkeiten verschwimmen in den Illustrationen der Songtexte, wie schon bei Cash – I See a Darkness, aber in diesem Fall erscheint es noch plausibler, Künstler und Kunstwerk miteinander verschmelzen zu lassen. Kleist lässt Nick Cave den Nimbus des wilden Künstlers und versucht sich nicht in psychologischen Erklärungen. Wundervoll, dass zeitgleich ein großformatiges Artbook mit ausgesonderten Zeichnungen aus der Feder von Reinhard Kleist erschienen ist.

 

Nameless
von Grant Morrison und Chris Burnham
Cross Cult

Bekanntermaßen sind Comics, die man mehrfach lesen möchte oder muss, eine sinnvollere Investition als Einwegcomics – allein aus platztechnischen Erwägungen. Die Miniserie Nameless, die zuerst bei Image Comics erschien, verdient ein Bücherregal für sich allein. Die Story dieses Horror-Comics im SF-Gewand ist schwer zu erzählen: Der Asteroid Xibalba möchte ärgerlicherweise auf seiner Flugroute durchs All die Erde kreuzen, und ein kleines kosmonautisches Wissenschaftlerteam soll die Apokalypse verhindern. An Bord befindet sich auch der titelgebende Held ohne Namen: Nameless. Und genauso namenlos sind die Schrecken, die wir Leser mit ihm erleben. Grant Morrisons Erzählweise, Reales und Fiktives, Erlebtes und Geträumtes miteinander zu verschmelzen, ist eine echte Herausforderung an den Leser. Die Zeichnungen von Chris Burnham sind gewaltig und machen den Band zu einem Leseerlebnis.

DIE TOP 5 VON CHRISTIAN MUSCHWECK

München 1945 Bd. 3
von Sabrina Schmatz
Schwarzer Turm

So kann’s gehen. Eigentlich wollte Sabrina Schmatz mit München 1945 nur eine Romanze vor dramatischer Kulisse erzählen, aber dann wurde sie sich der Verantwortung bewusst, die sie sich mit dem Setting aufgeladen hatte. Sabrina Schmatz erzählt mit einer fast unerreichten Leichtigkeit und ist doch nie leichtfertig. Das eigentlich abgegriffene Sujet der Trümmerzeit wirkt in München 1945 erfrischend neu, weil die Herangehensweise so anders ist als gewohnt. Deshalb begeistert bei dem Comic auch weniger der Stoff an sich, sondern der geschmeidige Erzählstil und die Entwicklung der Erzählerin. München 1945 ist seit den ersten Seiten zunehmend ambitionierter geworden, ohne dass das romantische Herzstück der Erzählung Schaden genommen hätte. Im Gegenteil wird die Liebesgeschichte immer spannender. Ich fiebere schon dem für 2018 angekündigten vierten Band entgegen.

 

Nameless
von Grant Morrison und Chris Burnham
Cross Cult

Eigentlich war ich mit Grant Morrison durch. Zu aufdringlich erschien mir sein Concept Writing für DC, man kam teilweise kaum mehr an dem Schotten vorbei, wenn man sich mit Superhelden beschäftigen wollte. Aber für Nameless hat er sich freigemacht von allem Superheldischen. Natürlich handelt es sich immer noch um einen Morrison-Comic mit vielen vertrauten Elementen, das Rad hat er mit Nameless nicht neu erfunden. Aber er hat mit Chris Burnham und Nathan Fairbairn die besten Künstler gefunden, die er sich für seine Gedankenwelt nur wünschen konnte. Morrison war schon immer so gut, wie seine Künstler ihn sein ließen, und Burnham und Fairbairn brauchten die Inspiration durch Morrison, um wirklich leuchten zu können. Guter Horror war schon immer eine Frage der Inszenierung und die ist bei Nameless außergewöhnlich gut gelungen. [Zu Christians Rezension]

 

Vereinte Kräfte (in Lustiges Taschenbuch 493)
Francesco Artibani und Paolo Mottura
Egmont Ehapa Media

Lange überfällig ist es, dass man nicht mehr müde lächelt über die Leser des Lustigen Taschenbuchs. Sicher, vieles aus der italienischen Disney-Schmiede ist Dutzendware, aber es finden sich auch erstaunlich viele Comicjuwelen darunter. Viele Episoden der Reihe „Der Neue Phantomias“ beispielsweise, die sowohl grafisch als auch erzählerisch die ausgetretenen Pfade weit hinter sich lassen. Auch die Nebenreihe „Agent DoppelDuck“ verblüfft immer wieder durch unkonventionelle Entwicklungen. In „Vereinte Kräfte“, dem ersten Crossover dieser beiden Helden, die ja eigentlich beide Donald sind, aber aus unterschiedlichen Universen, werden die Stärken beider Reihen deutlich: Die Grenzen zwischen einem Elseworlds-Ansatz, wie man ihn aus Superheldencomics kennt, und dem Duckverse, wie man es kennt, werden ausgelotet. Auf einmal scheint alles möglich.

 

Mickey’s Craziest Adventure
von Lewis Trondheim und Keramidas
Egmont Comic Collection

30 Euro für 48 Seiten? Das ist eine happige Ansage. Aber die liebevolle und – hüstel – „wertige“ Aufmachung mit Stoffrücken hat mich schnell überzeugen können, und auch erzählerisch ist Mickey’s Craziest Adventure herausragend. Trondheim und Keramidas verkaufen uns ihren Disney-Beitrag als Zusammenstellung verschollen geglaubter Comicseiten aus den 60ern (wer‘s glaubt). Das lässt sich auf zwei Ebenen lesen: Einmal als überdrehtes Abenteuer von Mickey und Donald, aber auch als moderne Spielerei mit der Form. Anhänger der ersten Lesart wünschen sich schon einen zweiten Band mit den „fehlenden“ Seiten, aber natürlich sind die Auslassungen Programm. Mit Leerstellen kann der geübte Leser des 21. Jahrhunderts schließlich umgehen. Die „lost pages“, die hier zusammengefasst sind, sollen ursprünglich in einem 12-Cent-Heft abgedruckt gewesen sein. Kein Wunder, dass diese Seiten so selten sind: Die alten Hefte waren so billig, dass man den Wert nicht erkannte und sie einfach achtlos wegwarf. Das wird mit der Stoffrücken-Ausgabe von 2017 sicher nicht passieren.

 

Eine geheimnisvolle Melodie
von Cosey
Egmont Comic Collection

Der Schweizer Cosey begeistert schon seit Jahrzehnten mit meditativen Erzählungen wie Die Reise nach Italien oder Auf der Suche nach Peter Pan. Aber auch Geheimnisvolle Melodie, Coseys erster und wahrscheinlich einziger Comic mit Disney-Figuren, ist ein typischer Cosey geworden. Er hat die gleiche entschleunigte Erzählweise und die bewährte klare Linie, die man von ihm gewohnt ist, nur eben etwas reduzierter und den cartoonigen Vorgaben angepasst. Cosey orientiert sich an den ursprünglichen Disney-Figuren und erzählt mit ihnen eine romantische Komödie im Stil alter Ernst-Lubitsch-Filme. Das ist eben der Cosey-Weg, nicht zu verwechseln mit Loisels Ansatz, dessen Disney-Beitrag Café Zombo sich sehr stark an den Gottfredson-Strips orientiert und auch unbedingt nähere Betrachtung verdient. Aber gerade Coseys verliebten Mäusen könnte ich noch viel länger zusehen. Deshalb ist sein Disney-Band auch einer meiner Favoriten 2017.

DIE TOP 4 VON DANIEL WÜLLNER

The Best We Could Do (US)
von Thi Bui
Abrams ComicArts

Selten sind es Superhelden-Comics, die mich wirklich emotional bewegen. Dieses Gefühl setzt nur dann ein, wenn ein Autor mir seine Figuren und deren Entscheidungen glaubhaft vermittelt. Das gelingt Thi Bui in ihren graphischen Memoiren The Best We Could Do. Die Tatsache, dass ihre Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruht, trägt zu diesem Gefühl bei. Bui ist Vietnamesin und mit ihrer Familie im Vietnamkrieg nach Amerika geflohen. Ursprünglich als Universitätsprojekt begonnen, sammelte Bui Bilder und Geschichten aus ihrer Vergangenheit. Geschickt verbindet sie ihre aktuelle Situation in den USA mit Rückblicken aus dem Krieg. Da sie gerade Mutter geworden ist, reflektiert sie über ihre neue Rolle, die Beziehung zu ihren Eltern und deren Entscheidungen. Sie stellt sich Fragen, warum ihre Eltern gerade zu diesen Menschen geworden sind, und beschreibt dazu deren Herkunft und Taten. Aus der selbstbewussten jungen Frau von damals ist durch die vielen Schicksalsschläge die heute stets kontrollierende Mutter geworden, die für ihre Kinder alles tun würde. Der griesgrämige und verbohrte Vater wird wieder zum kleinen Jungen eines egoistischen Vaters. Schlüsselmoment für die Familie ist die Flucht mit einem Boot. Von einer Seite auf die nächste brechen die Zeichnungen plötzlich ab. Stattdessen erwidert Familie Bui den Blick der Leser – von ihren Flüchtlingsfotos. Dies ist unsere Geschichte, sagen sie. Ähnliche Momente entstehen in Biopics, in denen die beschriebene Person selbst als Schauspieler auftritt. Welchen Menschen diese Erinnerungen aus Bui machen, verrät die Autorin nicht. Muss sie auch nicht, denn zu diesem Zeitpunkt hat sie eine bewegende Chronik einer vietnamesischen Familie erzählt und Vietnams Historie gezeichnet, die nicht so schwarz und weiß ist, wie unser kulturelles Gedächtnis das zur Vereinfachung gerne hätte.

 

Forbidden Brides of the Faceless Slaves in the Secret House of the Night of Dread Desire (US)
von Neil Gaiman und Shane Oakley
Dark Horse

Sieht so das Gegenteil einer Edgar-Allan-Poe-Erzählung aus? Wenn Realismus Fantasie ist und das Fantastische zur Norm wird. Gemeinsam mit Künstler Shane Oakley erzählt Neil Gaiman eine Schauergeschichte, bei der jedes Klischee in sein Gegenteil verkehrt wird: So sitzt der von Selbstzweifel zerfressene Autor in seinem dunklen Büro samt Raben und versucht, seine Geschichte zu vollenden. Doch egal welchen Topos er bemüht, am Ende kommt nur Alltägliches heraus: die Schöne, die von dämonischen Wölfen verfolgt wird, das Degenduell mit dem untoten Bruder oder das Blutritual im Keller. Warum will es ihm nicht gelingen, etwas wirklich Verstörendes oder wenigstens etwas Gruseliges zu Papier zu bringen? Wie zum Beispiel das bis ins Mark erschütternde Abgeben einer Steuererklärung oder die schaudernde Unterhaltung mit dem Milchmann. Damit sich diese Idee visuell trägt, hüllt Oakley die Figuren in dunkle Umhänge mit viel Faltenwurf und setzt auf die Nase jeder Hexe noch eine Warze extra. Mit seiner nachtblauen Kolorierung übertreibt er alle Klischees ebenso wie Gaiman es seinerseits auf der Textebene tut. Forbidden Brides of the Faceless Slaves in the Secret House of the Night in Dread Desire ist eine wunderbare Gruselparodie.

 

X-Men Grand Design 1 (of 2) (US)
von Ed Piskor
Marvel Comics

Mit speziellen Plastiktüten schütze ich meine alten Comics gegen den Gilb – diese fiese Oxidation, die aus Blütenweiß dreckiges Gelb macht. Bei Ed Piskor ist der Gilb Teil des Konzepts: Den gelblichen Hintergrund, den er extra für seine Comicserie Hip Hop Family Tree entwickelt hat, verwendet er auch bei X-Men: Grand Design. Darin erzählt Piskor auf wenigen Seiten die Entstehungsgeschichte der X-Men nach. Das ist weder eine neue Origin-Story, noch ist es X-Men für Dummies, sondern eine nostalgische Ode an die ersten Uncanny X-Men-Ausgaben aus den 60er Jahren. Zusätzlich zur Handlung der Serie fügt Piskor Querverweise ein, die auch in anderen X-Men-Comics auftauchen. Hier tun sie dies nur nicht als Fußnoten, sondern ergänzen die laufende Handlung direkt in den Panels: So erfährt der Leser den genauen Augenblick, in dem sich die Kraft von Phoenix für Jean Grey als Körper entschieden hat. Außerdem wird erzählt, wie der Unfall der Familie Summers damit zusammenhängt. Piskor lässt mit seinem Gilbgelb Erinnerungen wiederaufleben und weckt das Bedürfnis, aktiv am großen Design der X-Men-Geschichten teilzunehmen. Wenn mich jemand fragen würde, woher die Mutanten aus dem Kino kommen, dem würde ich die Lektüre von Grand Design empfehlen.

 

My Favorite Things is Monsters (US)
von Emil Ferris
Fantagraphics Books

Dieser Comic ist ein Monster. Er ist verstörend schön, auf kindliche Weise ehrlich und dabei brutal fantasievoll. Mit ihrem Debüt My Favorite Things is Monsters hat die 55-jährige Künstlerin Emil Ferris die Comicwelt 2017 nachhaltig beeindruckt. Auf dem Klappentext gratulieren ihr Art Spiegelman, Chris Ware und Alison Bechdel. Das amerikanische Feuilleton überschlägt sich mit Lob. Aber was macht Ferris anders? Sie mischt die beiden Grundzutaten eines jeden Comics – Zeigen und Erklären – auf erfrischend neue und intelligente Weise. Auf fast 400 Seiten erzählt Ferris die Geschichte der 10-jährigen Karen im Chicago der 60er Jahre. Ähnlich wie in Henry James’ Roman What Masie Knew zeigt und erklärt Ferris die Handlung aus der Perspektive des Kindes. Doch im Gegensatz zur kleinen Masie ist Karen weder unwissend noch naiv. Sie malt ihre Erlebnisse und ihre Fantasiegeschichten mit Kugelschreiber auf liniertes Papier – in einen Block samt Perforierungen und Spiralbindung. Dabei fallen Panelstruktur und feste Erzählhaltung weg. Das rigide Korsett des Comics verschwindet. Das schafft Freiraum. Denn nutzt Ferris aus, um zu Fabulieren: In Karens Fantasie verwandeln sich Figuren in Monster und wieder zurück, Fiktionen werden zur Realität und Gemälde öffnen neue Interpretationswege direkt in ihr Innerstes. So wird aus hingekritzelten Randnotizen in einem Schulblock eine Spurensuche – zurück in die Nazizeit. Ferris verbindet Trash mit Kunstgeschichte, Historie mit Fiktion. Für diese Art von Erzählung wurden Comics geschaffen. Diese Art von Erzählung schaffen nur Comics.

DIE TOP 5 VON JAN-NIKLAS BERSENKOWITSCH

Der Beste:
Deae ex machina 4: Das Feuer der Ormuzd-Schale
von Frank „Erik“ Weißmüller
Kult Comics

Ich liebe Überraschungen und ich liebe es, meine Zuneigung für alte Sachen zu entdecken. Auf Deae Ex Machina Band 4 traf beides zu. Worum geht es? Drei Göttinnen reisen durch die Zeit und versuchen einen Wahnsinnigen davon abzuhalten, Millionen von Menschen zu töten. Nicht dass sie groß an der Menschheit hängen würden, aber mehr Tote bedeutet weniger Arbeit für sie. Also manipulieren sie die Sterblichen über mehrere Jahrhunderte hinweg in der Vergangenheit und Gegenwart, damit die Zukunft nicht ganz so duster aussieht.
Ein großes Problem der alten Bände war, dass nicht klar war, wo die Geschichte hingehen würde und dass es wenig menschliches Drama gab. Davon hat Deaes Schöpfer, Frank Weißmüller alias Erik, endlich nachgelegt und damit auch den bisher besten Band der Reihe geschaffen. Alte Fäden werden endlich aufgelöst, Charaktere wachsen dem Leser ans Herz und endlich zeichnet sich nicht nur ab, wo die Geschichte hingeht, sondern was Weißmüller thematisieren möchte. Alles passt zusammen in diesem komplexen Garn und es machte mir Spaß, die ersten Bände neu zu lesen und endlich all die kleinen Details zuvor zu verstehen. Die Zeichnungen sind auch noch einmal schlanker und schöner geworden (Erik hat seine Vorliebe für schöne Frauen genauso wenig verloren wie seine Obsession für Blut und Schweiß). Dieses Jahr soll der letzte Band endlich herauskommen und ich kann es kaum erwarten und hoffe, dass dieser ebenfalls mein liebster Comic in 2018 sein wird.

 

Der Nachdenkliche:
Stupor Mundi – Das Staunen der Welt
von Néjib
Schreiber & Leser

Die Zeichnungen von Stupor Mundi sind schlicht, die Figuren wortkarg und doch hat es so viel zu sagen. Es geht um die Wissenschaft, die Suche nach Wissen und dass es in den Händen weltlicher Herrscher tatsächlich Macht sein kann. In einem Schloss des mittelalterlichen Monarchen Friedrich II. der Staufer wurden Gelehrte versammelt, um das finstere Mittelalter zu erleuchten. Zumindest offiziell. In Wirklichkeit geht es um den Kampf des Kaisers gegen den Papst und Friedrich hofft, dass ihm ein arabischer Wissenschaftler mit einem revolutionären Verfahren zum Sieg verhelfen wird. Der Gelehrte tut es aus eigennützigen Gründen und macht sich damit nicht nur Freunde.
Stupor Mundi erzählt eine spannende Geschichte, aber seine nachdenklichen Töne über die Rolle des Wissens machen wirklich das Herz des Einzelbandes aus. Wissen allein macht den Menschen nicht besser, scheint Autor und Zeichner Néjib sagen zu wollen, es muss mehr geschehen. In der Ignoranz zu verbleiben, hilft allerdings auch nicht, da es Leuten wie Friedrich und dem Papst erst ermöglicht, über die Geschicke der Menschen zu verfügen, wie es ihnen beliebt. Im politischen Klima der heutigen Zeit ist der Comic leider hochaktuell. Hoffentlich wird uns das Licht des Wissens doch noch erleuchten.

 

Der Unbekannte:
Afterlife Inc. Vol. 4: Man made God (UK)
von Jon Lock
Big Punch Studios

Afterlife Inc., Jon Locks Serie über ein anarchistisch-sozialistisch-korporativ geführtes Leben nach dem Tod, ist aus meiner Sicht einer der besten Comics, die niemand kennt. Dabei hat die Serie alles was es braucht, um ein großer Hit zu werden: Ein diverses Cast an Charakteren, ein großes und kreatives Setting (der Tod nimmt tatsächlich viele Gestalten an) und die Geschichten sind spannend und mysteriös zugleich. Lock veröffentlichte die ersten beiden Bände als Kurzgeschichtensammlungen und erzählte mit dem dritten einen unterhaltsamen Kampf zwischen „Stupid sexy Vampires“ und der Hauptfigur Jack Fortune und deren Firmenvorstand. In Band 4 ist die Atmosphäre düsterer und ernster und die Handlung tritt im Vergleich zum Vorgängerband zugunsten der Thematiken zurück. Es wird infrage gestellt, ob eine Gesellschaft tatsächlich einfach neu anfangen kann, wenn die alten Strukturen seit Ewigkeiten bestehen und deren Bürger beeinflussen. Und worauf bauen die Leute an der Spitze ihre Autorität auf? Auf Vertrauen, Unterdrückung oder aus Tradition? Ganz beantwortet Lock diese Antworten noch nicht, aber ich hatte das Gefühl, dass er genau weiß, wo die Geschichte hingehen wird. Zwei Bände sollen noch kommen. Ich bin gespannt und hoffe auf ein glückliches Ende, selbst im Leben nach dem Tod.

 

Das Kleinod
Mr. Higgins Comes Home (US)
von Mike Mignola und Warwick Johnson Cadwell,
Dark Horse

Mr. Higgins Comes Home lebt von den abstrakten Zeichnungen des Zeichners Warwick Johnson Cadwell, da Mike Mignolas Geschichte diesmal sehr einfach ausgefallen ist. Wir durchstreifen dunkle Korridore eines Schlosses, das aus dem Tanz der Vampire stammen könnte und mit den Blutsaugern gefüllt ist. Sie planen die Zerstörung der Welt, aber statt an die Arbeit zu gehen, feiern sie lieber sich selbst. Die Guten, zwei Vampirjäger, sind auch nicht besser, sie haben das Herz am rechten Fleck, sind aber ineffektiv und schlecht im Improvisieren. Und zwischen ihnen steht der arme Mister Higgins, der einfach nur seine Frau wiedersehen möchte.
Es ist absurd, wie diese Trauergestalten versuchen, ihre Ziele zu erreichen, obwohl sie dafür so ungeeignet sind, wie den Lesern am Ende bewusst wird. Der Schluss ist es auch, der Mr. Higgins Comes Home zu etwas Besonderem für mich macht, denn er fasst die gesamte Geschichte mit lakonischem Humor zusammen und wirkt viel schrecklicher, als es aller existenzieller Horror je tun könnte. Manchmal verschwimmen die Grenzen zwischen Tragödie und Komödie so sehr, dass man sie nicht auseinanderhalten kann. Mr. Higgins macht vor, wie das aussehen kann.

 

Mignolas wahrer Nachfolger
The Complete Doc Unknown (US)
von Fabian Rangel Jr, Ryan Cody, Phil Sloan, Jim McMunn und John Broglia
Dark Horse

Fabian Rangel Jr’s Serie kaufte ich dieses Jahr digital im Sale und las sie in einem Rutsch durch. Danach kaufte ich den physischen Sammelband, weil man die Abenteuer des unbekannten Doktors unbedingt im Regal stehen haben sollte.
Rangel hat scheinbar fast alles eingebaut, was er cool findet: Untote, mystische Mächte, Helden, die Nazis vermöbeln und schräge Monster. Und es macht einfach Spaß in diesem kleinen Universum zu versinken, das der Autor innerhalb von drei Bänden kreiert und zu Ende bringt. Ist das Ergebnis immer rund? Nein, Rangel war da noch nicht so erfahren, aber die Figuren waren immer gut greifbar und er hat bei aller Coolness nie vergessen, gutes Drama einzubauen. Die beste Geschichte erzählt er mit dem Album „Boss Snake“, der Biographie einer Nebenfigur von Doc Unknown, deren emotionale Tiefe mich an die besten Momente von Hellboy erinnert. Und wie Mike Mignola macht Rangel vielleicht nichts neu, aber seine Geschichten lesen sich wieder frisch, nicht weil er den Lesern gibt, was sie denken was sie wollen, sondern weil er die Geschichten erzählt, von denen er weiß, dass er sie erzählen will. Für mich ist er damit der wahre Nachfolger des Hellboy-Papas, den Rangel in der Atmosphäre und im Aufbau der Bildsprache stark zitiert.
Ich bin wirklich gespannt, wie es mit ihm weitergehr, jetzt wo er spaßige Serien wie Namwolf (Werwölfe) oder Two Brothers (ein Luchador und sein Bruder verhaften für die Polizei Werwölfe. Passt) schreibt und ich hoffe, dass er weiterhin besser wird. Vielleicht übernimmt er irgendwann sogar Chris Robersons Platz als Autor von Hellboy and the B.R.P.D., der den Fans bisher nur den alten Kram neu aufgelegt vorlegte. Hoffen kann man ja.

DIE TOP 5 SUPERHELDENCOMICS VON STEFAN SVIK

Platz 1: Wählt Loki
von Christopher Hastings und Langdon Foss
Panini Comics

Loki auf den Spuren des schlechtesten US-Präsidenten aller Zeiten. Wie kann es sein, dass eine Witzfigur, ein Phrasendrescher, ein Dummschwätzer und Nichtskönner mit so offensichtlich schlechtem Charakter Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wird? Das fragt sich eine idealistische, junge Journalistin und liefert dem Stiefbruder von Thor mit ihrer Recherche sogar noch unfreiwillige Hilfe beim Wahlkampf. Fake-News, alternative Fakten, medialer Zirkus und geballter Schwachsinn: Wählt Loki ist der klügste und lustigste Superheldencomic 2017!

 

Platz 2: Marvel-Klassiker – Thor
von Stan Lee, Jack Kirby, Neal Adams u.a.
Panini Comics

Auch weil er die Vorlage (zumindest eine der Vorlagen, neben Planet Hulk u. a.) für den wunderbar schrägen Kinofilm Thor: Ragnarök (dt.: Tag der Entscheidung) enthält, ist dieser Sammelband mit Klassikern die helle Freude. Lee und Kirby auf der Höhe ihrer Kunst. Für einen Doodle bei Google haben die Fan-Stimmen nicht gereicht; schön, dass der König der Comics zumindest mit Neuauflagen wie diesem extra dicken Wälzer geehrt wird.

 

Platz 3: The Punisher
von Becky Cloonan und Steve Dillon
Panini Comics

Ein gestricktes Punisher-Logo! Eine Fahrt mit der Oma durch den Hühnerstall. In bester Tradition von Ennis und Dillon erzählt der aktuelle Punisher-Run herrlich überzogene, neue Abenteuer von Frank Castle. Nicht so sehr Ensemble-Leistung wie die Netflix-Serie, sondern guter alter Frank. Ruhe in Frieden, Steve Dillon, dein Werk bleibt unvergessen.

 

Platz 4: LDH – Liga Deutscher Helden 1: Vorboten
von Jan Dinter, Oliver Naatz, Martin Frei, Gerhard Schlegel u.a.
LDH Comics/Contentkaufmann

Es fängt bereits beim Hochglanzcover und dem Papier an: Diese Hefte sind auf dem selben Niveau wie die Panini-Superheldencomics von Marvel und DC. Zeichnerisch eine helle Freude. Für die deutsche Comicszene ein wundervolles Vehikel, um auf heimische Autoren und Zeichner aufmerksam zu machen und mal eine erfrischende lokale Note in dieses international so erfolgreiche Comicgenre zu bringen. Aktuell noch nicht ganz so charmant und ausgereift wie die Austrian Superheroes und dank einem Overkill an Dialekten und arg gewöhnungsbedürftigen Figuren wie dem Kölner Jeck noch etwas krude und von der Story her etwas zu unausgegoren, aber schön, dass es dieses Crowdfunding-Projekt überhaupt geschafft hat – sehr ermutigend für Deutschland!

 

Platz 5: Huck – Held wider Willen
von Mark Millar und Rafael Albuquerque
Panini Comics

Ein lieber Kerl. Schüchtern, hilfsbereit, von Beruf Tankwart und privat ein Junggeselle, der mit seinem Leben zufrieden erscheint. Dann ändert sich plötzlich alles, Supermächte und internationale Konflikte verwandeln Huck und sein verschlafenes Nest in den USA. Ein typischer Mark Millar, leider bei weitem kein Kick-Ass, aber auch mehr als Durchschnittskost. Gut gemachte Unterhaltung. Wunderbar gezeichnet. Ganz und gar liebenswert. Wäre schön, wenn 2018 das Jahr von Typen wie Huck wäre: Menschen, die Gutes tun, ihren Job anständig erledigen, ohne das an die große Glocke zu hängen. Maulhelden sind so 2017.

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Währenddessen … (KW 3)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Julian: Mit The End Of The F***ing World – läuft seit Januar eine neue Comicserie auf Netflix, die nicht von Superhelden handelt, sondern auf einer Graphic Novel von Charles S. Forsman basiert. Die acht Episoden a 20 Minuten erzählen die Geschichte eines ungleichen Teenagerpaares: Während Alyssa ihren leiblichen Vater nur noch durch diverse Geburtsagskarten kennt, zudem von ihrer überforderten Mutter und deren Lebenspartner vernachlässigt wird, hegt James eine Vorliebe für Skateboards, Messer und das Töten von Tieren.

Alyssa, die mit ihren von Smartphones besessenen Millennial-Altersgenossen wenig anzufangen weiß, freundet sich bald mit James an und gemeinsam plant man die Flucht aus der Vorstadt. Die Motive der beiden Außenseiter könnten unterschiedlicher nicht ausfallen: Während Alyssa in James die große Liebe sucht, plant dieser die Ermordung seiner Gefährtin. Es folgt ein absurder Roadtrip mit düsterem Humor, wie man ihn selten im Fernsehen zu Gesicht bekommt.

Wohlig hebt sich The End Of The F***ing World von anderen aktuellen Teenagerserien ab, erinnert eher an Atypical oder Daniel Clowes Ghost World als an Gossip Girl. Die britische Serie wirft einen pessimistischen und zugleich überaus komischen Blick auf die Gesellschaft: Ob Teenager oder Highschool – Glamour sucht man hier vergebens und die Welt wird mit einem alles verschlingenden Grau überzogen.

Besonders Jessica Barden weiß dabei zu begeistern, gelingt es ihr doch vorzüglich, jene Wutausbrüche und Provokationen Alyssas mit einer tiefen inneren Verletzlichkeit zu kontrastieren. Dass The End Of The F***ing World nicht auf ein Happy Ending hinausläuft, unterstreicht den Gesamteindruck und lässt auf eine zweite Staffel hoffen. Die Chancen hierfür stehen indes gut: Innerhalb weniger Wochen entwickelte sich die Serie weltweit zur kleinen Sensation und auf den einschlägigen Internetboards und Tumblr Accounts häufen sich die serienbasierten Memes.

Daniel: Auch ich habe diese Woche The End Of The F***ing World zu Ende gesehen. Auch ich war begeistert. Aufgrund Julians schöner Vorarbeit, kann ich jetzt einfach nur erzählen, warum mir die Serie so gut gefällt. Vor allem, weil sie sich der Einordnung widersetzt.

Die Serie ist kein richtiges Roadmovie, obwohl Alyssa und James mit gestohlenen Autos durch die britische Landschaft fahren. In einem Roadmovie setze ich voraus, dass Erwachsene aus ihrem Alltag ausbrechen, ihn für die Freiheit der Straße eintauschen und ihr altes Leben hinter sich lassen. Sie sind sich der Konsequenzen ihrer Handlungen bewusst und entscheiden sich dafür. Die Leben von James und Alyssa haben noch gar nicht angefangen und trotzdem sind sie schon enttäuscht. In einem Roadmovie ist den Reisenden bewusst, wie fragile diese Ersatzwelt ist. Das geht den beiden Figuren hier nicht so. Das Leben im Auto, Trailer oder Motel wird als echte Alternative gesehen.

Eine Coming-of-Age-Geschichte ist es für mich auch nicht. Auch wenn die beiden Teenager auf ihrer Reise erwachsen werden, erwarte ich von diesem Genre mehr Reflexion, eine Auseinandersetzung mit der eigenen Situation und einen Lerneffekt, der daraus gezogen wird. Der interne Monolog der beiden kann zwar als reflektierend gelesen werden, doch bezieht er sich immer nur auf das direkte Bedürfnis, nicht auf das große Ganze: So denkt James z.B.: „Ich fühle mich unglücklich ohne Alyssa. Wo ist sie?“ Während ich mir versuche auszumalen, wie die Leben von Alyssa und James weitergehen können, schert sich die Serie wenig um meine Erwartungen und bleibt viel direkter an der Gefühlswelt der Jugendlichen. Wenn es ein Coming-of-Age-Aspekt gibt, dann zielt dieser nicht auf den Moment der Katharsis ab, sondern hinterfragt nur jeden einzelnen Augenblick: Bin ich jetzt glücklicher als eben?

The End Of The F***ing World ist roh, direkt und widersetzt sich jeder Bestimmung. Das gefällt mir.

Christian: Früher war eine Serie mit Cliffhangern für mich das Nonplusultra des Erzählens. Egal ob Sigurd-Heftchen oder Leutnant-Blueberry-Alben: Der Cliffhanger, stets an einer dramatisch zugespitzten Situation effektvoll platziert, überhöht eine gute Story noch und macht sie zum Event. Aber seit einigen Jahren habe ich ein gespaltenes Verhältnis zum Cliffhanger. Genauer seit ich die zweite und vor allem dritte Staffel der Serie 24 gesehen habe. Erst noch gefreut über eine Spannungserzählung wurde mir das ständige Eskalieren mit den Cliffhangern bald zu sehr zur Masche. Die Story wurde fühlbar immer unwichtiger und zunehmend unlogisch, nur noch das Aus-dem-Hut-Ziehen möglichst vieler krasser Wendungen zählte. Fiel mir kürzlich auch bei American Horror Story auf. Das Herauszögern und Dehnen einer Story auf absurde Ausmaße mit Wendungen, komme was wolle, scheint inzwischen völlig die Regel geworden zu sein. Da ist mir der klassische Kinofilm lieber.

Die Fernsehserie American Gods hat mich dagegen positiv überrascht. Erstens liefert die Serie uns nicht die Standardexposition jeder Nullachtfuffzehn-Reihe, zweitens sind die Cliffhanger nie Selbstzweck, sondern entwickeln sich schlüssig aus der Erzählung heraus. Das Überraschende an der Reihe ist nicht ein breitbeiniges „Seht mal, was für aberwitzige Wendungen wir uns für euch ausgedacht haben“ sondern liegt tiefer. Nach nur acht Episoden American Gods habe ich keinen Zweifel an der Stringenz der Handlung, trotzdem frage ich mich als Zuschauer bei jeder Episode: „Wie um Himmels Willen soll das weitergehen?“ und „Wie kommt Shadow Moon aus dieser verfahrenen Situation noch raus?“. Lange habe ich gedacht, dass Neil Gaimans Romanvorlage nur eine Zweitverwertung von Motiven aus den Sandman-Comics ist. Da habe ich mich wohl getäuscht.

Gut dennoch, dass ich nie die Romanvorlage gelesen habe. Kürzlich, als ich ich mich mit meiner zwölfjährigen Nichte über die Harry Potter-Filme unterhalten habe, meinte sie, sie würde nie erst den Film sehen und dann die Romanvorlage lesen wollen, weil die Bücher immer besser seien als die Filme. Das dachte ich früher auch. Inzwischen aber gebe ich auch gerne einer Verfilmung die Chance, mich unvorbereitet überwältigen zu können. Mit American Gods ist die Überwältigung hervorragend gelungen. Jetzt muss ich mich nur noch bremsen, nicht doch nachzulesen wie es weitergeht, bevor die zweite Staffel im Sommer kommt.

Niklas: „Hö. Das war unterhaltsam bekloppt“, dachte ich, nachdem ich die erste Episode von realTrolls neustem RPG-Maker-RPG Endzeit beendete. Dreieinhalb Stunden, in denen ich die Ruinen eines atomar verseuchten Brüssels nach Überlebenden und Ressourcen durchsuchte, mutierte Flamen bekämpfte (die natürlich Französisch sprachen) und meine Organisation zum Wiederaufbau der Welt auf „Liebeswaffel-Liga“ taufte. Zu meiner Verteidigung, der Name passt zum Spiel. Denn Endzeit ist trotz der Verwüstung und all der Toten ein albernes Spiel. Ein sehr albernes Spiel. Als hätten die Muppets Mad Max adaptiert und vergessen die Witze über Kannibalen rauszuschneiden. So albern ist es. Und es macht Spaß.

Bisher gibt es nicht viel zu sagen, außer dass real_Troll weiterhin mit Adjektiven in Texten und Dialogen um sich zu wirft, die den Ton des Spiels auflockern sollen. Nötig wären sie nicht, da schon die Hilfsmittel zur Erneuerung von Energie (das Äquivalent von Mana in diesem Spiel) mich zum Schmunzeln brachten. Mit den vier belgischen Elementen – Pommes, Bier, Schokolade und Waffeln – laden sich der heldenhafte Hauptcharakter Kapitän Atom und seine Begleiter wieder auf, um mit Laserstrahlen und Gewehren das Böse zu bekämpfen. Bisher habe ich aber noch keine Ahnung wohin das Ganze führen soll. Denn zum Mix aus Superhelden- und Endzeitgenre kommen noch Physikwitze dazu – die sich mir als Naturwissenschaftmuffel noch nicht ganz erschließen – und Quests und Kampfsystem sind noch nicht ganz so ausgereift wie real_Trolls brillantes und vielschichtiges Wolfenhain, aber mal sehen, bisher hat der Autor ja noch nicht enttäuscht.

Bis dahin bin ich mal gespannt, ob es noch schräger wird. Ein gewaltiger Manneken Pisder „Todesstrahlen“ verschießt, ist ja schon mal kein schlechter Anfang für weiteren Wahnsinn, der wohl noch folgen wird.

Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.

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Währenddessen … (KW 5)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: Währenddessen in einem Turm: Auf meinem Rechner läuft nur noch Slay the Spire.  Das Computerspiel mischt roguelike mit Deckbau-Mechanismen aus Brettspielen wie Dominion. Zu Beginn wählt Spieler einen von zwei Helden – und bekommt dazu einen Satz Basiskarten. Mit dem kämpft man sich Raum für Raum den Turm empor. Ich habe zwar noch nie Die 36 Kammern der Shaolin gesehen, aber so in etwa stelle ich mir das vor. In jedem neuen Raum warten Monster, Ereignisse, Händler und Möglichkeiten zum Rasten.

Warum Slay the Spire süchtig macht? Weil auch in dieser early access Version die Botschaft klar durchstrahlt: Optimiere! Bau dein Deck besser! Wähle einen anderen Weg! Und wenn du stirbst, wähle ein anderes Relikt, eine andere Karte. Von denen bietet das Spiel einen ganzen Haufen:

An jeder Abzweigung warten Möglichkeiten, sein Deck zu verbessern. Aber sind mehr Karten gut oder schlecht? Das gilt es abzuwägen: Rasten oder am Lagerfeuer Karten verbessern? Vielleicht kleistert gerade die tolle neue Karte das Deck zu. Der Optimierungsgedanke ringt bei jeder einzelnen Entscheidung mit dem Entdeckergeist. Meist gewinnt die Lust das neue zu kennenzulernen.

Am meisten mag ich aber die Monster. Bereits im allerersten Raum liegt ein dicker Wal und gewährt Startvorteile. Warum der Wal da liegt, weißt ich nicht. Aber die Welt von Slay the Spire erinnert mich auf Weise an die Comicserie Donjon von Lewis Trondheim: verrückte Kreaturen, denen Arm an komischen Stellen aus dem Kopf wachsen, eine pöbelnde Goblin-Horde und crazy Artefakte. Der Turm schreit: „Entdecke mich!“ Und ich gehorche.

Christian: Währenddessen habe ich mich noch einmal mit Marc-Oliver Frischs Besprechung zu Reinhard Kleists Boxer von 2012 auseinandergesetzt, einer biografischen Erzählung über einen Sportler, der Auschwitz überlebt hat. In der Besprechung fallen Sätze wie:

  • „Ich habe keine Ahnung, was Reinhard Kleist mit dieser Geschichte zu tun hat.“
  • „Aber mir ist nicht klar, warum er als Autor entschieden hat, gerade diese Geschichte zu erzählen.“
  • „Aber den Beleg dafür, dass das Leben des jüdischen Boxers Hertzko Haft von Reinhard Kleist noch einmal als Comic erzählt werden musste, bleibt der Autor in letzter Konsequenz leider schuldig.“

Vermutlich stellt sich Kleist selbst ähnliche Fragen, immerhin reflektiert er gerade solche Gedanken in seinem neuen Buch Mercy On Me, was in einem biografischen Buch über einen Musiker ja nicht unbedingt zu erwarten gewesen wäre. Aber auch schon in Der Traum von Olympia wird Kleists Verlangen, sich mit seiner ganzen Persönlichkeit in ein Thema zu werfen, deutlich. Er hat Flüchtlingslager besucht, sich engagiert und dazu auch noch einen Begleitcomic gestaltet, der aus der Masse der Gratis-Comic Tag-Hefte 2015 deutlich herausragte.

Wie Frisch richtig feststellt, lässt sich mit der Fragestellung danach, in welcher Beziehung der Künstler zu seinem Thema steht, oft auch die Frage danach beantworten, ob einen ein Comic letztlich packt oder emotional kalt lässt. Aber die Frage hat auch einen bösen Zwilling: Seit ein, zwei Jahren machen immer wieder Vorwürfe der kulturellen Aneignung die Runde. Der Vorwurf steht im Raum, ob ein Künstler sich zu belasteten Themen überhaupt äußern darf, oder ob er daraus nur emotionales Kapital und Aufmerksamkeit gewinnen will. Eine neue Form von Zensur hat sich daraus entwickelt, die die alte Bundesprüfstelle schon fast wieder sympathisch wirken lässt.

Wer sich für die Frage interessiert, ob man Auschwitz überhaupt dramatisieren darf, dem empfehle ich die Lektüre von Sonja M. Schultz‘ klugem Filmbuch Der Nationalsozialismus im Film – Von Triumph des Willens bis Inglorious Basterds (Berlin, 2012). Sehr aufschlussreich war für mich vor allem der Streit zwischen Claude Lanzmann und Stephen Spielberg über dessen Film Schindlers Liste. Für Lanzmann ist jede Darstellung des Holocausts, genauer der Shoah, ein Sakrileg: „Wer es tut, macht sich der schlimmsten Übertretung schuldig. Die Fiktion ist eine Übertretung, und es ist meine tiefste Überzeugung, dass jede Darstellung verboten ist.“ Entsprechend zeigt Lanzmann in seiner eigenen Dokumentation Shoah von 1985 keine Inszenierungen und verwendet auch keine manipulativen Schnitte. Demnach machte sich Stephen Spielberg eben dieser „schlimmsten Übertretung“ schuldig, als er die Geschichte um Oskar Schindler sehr episch und effektvoll dramatisierte. Aber Spielberg erhielt gewichtige Unterstützung durch Regielegende Billy Wilder, der 1945 unmittelbar nach der Befreiung am Dokumentarfilm Die Todesmühlen beteiligt war, einem Film, der dazu verwendet wurde, die deutsche Bevölkerung mit dem Massenmord zu konfrontieren.

Das über 560 Seiten schwere Buch lässt tatsächlich keinen Bereich der filmischen Aufarbeitung der Nazizeit offen. Egal ob antifaschistischer DEFA-Film, erste Aufarbeitungsversuche des westdeutschen Kinos, Exploitation der 70er und 80er Jahre, deutsches Event-Kino der 90er und 00er-Jahre, Guido Knopp-Dokus, Christoph Schlingensief-Filme, polnisches Kino oder das amerikanische Kino von den 30er Jahren bis heute: Kein Sub-Genre wird ausgespart und alles mit dem gleichen wissenschaftlichen Ernst behandelt. Sonja M. Schultz‘ Werk, ursprünglich eine Doktorarbeit, ist ein weiteres großartiges Buch aus der umfangreichen Filmbibliothek des Bertz-Verlags, das man sicher öfter als nur einmal lesen will.

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Währenddessen… (KW 11)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: Die zweite Staffel von Jessica Jones hat mich nach Folge 9 nun vollends unbinged. Alles, was die Serie ausgemacht hat, fehlt: Das düstere Setting, die selbstzweifelnde Jessica und natürlich David Tennant als Bösewicht. Was bekommt der Zuschauer stattdessen? Enrique Iglesias als Hausmeister/love interest, Turbo-Trish auf Drogen und Jessicas an den Perückenhaaren herbeigezogene Origin-Stories. Ich möchte nicht spoilern, aber wenn zwei Frauen mit Superheldenkräften einen wegfahrenden Bus an der Stoßstange festhalten und damit bremsen, sind wir fast schon wieder bei Lou Ferrignos Hulk angekommen – unglaublich.

Dabei hätte die Serie das Potential, gesellschaftsrelevante Fragen zu stellen. Wie viel lieber würde ich Jessicas Partner Malcolm 60 Minuten dabei zusehen, wie er mit seinen Dämonen ringt und um seine Menschlichkeit kämpft. Die Autoren haben es geschafft, mir diese eine Figur so positiv zu präsentieren, nur um alle narrativen Möglichkeiten, die entstehen, einfach verpuffen zu lassen. Dabei hätten seine Story und die Figur das Zeug gehabt, Jugendlichen eine Alptraumwelt zu zeigen, in die sie nicht abdriften wollen. Stattdessen muss ich den drei anderen schmerzhaft hanebüchenen Stories minutenlang folgen. Zwischenzeitlich scheinen auch die Autoren der Serie vergessen zu habe, dass Jessia Jones ein Private Investigator ist. Sobald sie das merken, fängt Jessica mitten in der Folge wieder mit dem selbstreflexiven voice-over-Monolog an, der nie so passend war wie in der ersten Staffel. Ich kann nur davon abraten, mit Jessica Jones Staffel 2 seine Zeit zu verschwenden.

Christian: Seth MacFarlanes neue Serie The Orville ist ein netter Mix aus Science Fiction und Comedy und schwelgt dabei in einem Retro-Look, der bewusst an der Optik der ersten Star Trek-Serie angelehnt ist. Auch deren grundethische Haltung wird in The Orville weitergetragen, wenn nicht auf die Spitze getrieben. Die Folge „Planet der Männer“, ausgestrahlt am 6.3.2018 auf Pro 7, hätte auch gut als Argumentationsgrundlage im Ethik-Unterricht dienen können, so thesenhaft war sie. Ein Ehepaar vom Planet der Moclaner bekommt eine Tochter, etwas, was in deren rein männlich geprägten Gesellschaft nur äußerst selten geschieht und routinemäßig durch Operation korrigiert wird. Die Raumschiffcrew der Orville ist jedoch entsetzt von der Vorstellung, ein gesundes Wesen einer unnötigen Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. So werden zahlreiche Argumente für und wider eine Operation des Kindes ausgetauscht: Muss man den diskriminierenden Eingriff durchführen, nur weil die Konventionen einer fremden Gesellschaft es fordern? Ist die Geschlechtsumwandlung wirklich gleichzusetzen der Operation einer Gaumenspalte? Was ist mit dem Brauch, Kinder zu beschneiden? Aber darf man diese Gesellschaft deshalb vorschnell verurteilen? Und was bedeutet es, dass Frauen ja tatsächlich nur ein Ausnahmephänomen in der moclanischen Gesellschaft sind? Darüber hinaus fällt auch dem Umstand, dass die Moclaner erfolgreich die Ehe zwischen Männern praktizieren, Gewicht zu. Das alles ist Ethik mit dem Holzhammer, und ich frage mich, ob die aufgeworfenen Fragen manipulativ sind oder ob es sich um eine didaktische Reduktion handelt, um die Fragen unserer Zeit zuzuspitzen? Untern Strich bleibt The Orville solide Science-Fiction in der Tradition von Lem und Roddenberry.

Niklas: Ich sollte mehr Mangas lesen. Also habe ich das getan. Naoki Urasawas Pluto basiert auf Osamu Tezukas Geschichte Der beste Roboter auf Erden, die ich leider nie gelesen habe, aber vielleicht nachholen werde. Das große Thema der Geschichte sind künstliche Intelligenz und ihre Grenzen. Die Hauptfigur von Pluto, der deutsche Ermittler Gesicht, ist ein Roboter mit menschlichen Aussehen, der eine mysteriöse Mordserie aufklären soll. Immer wieder lassen Menschen herabwürdigende Kommentare darüber ab, dass er keine Gefühle besitzt und daher auch nicht die Komplexität der menschlichen Existenz zu verstehen vermag. Doch er hat eine Frau, die er liebt (oder glaubt zu lieben) und zeigt immer wieder Mitgefühl mit Menschen und anderen Maschinen. An manchen Stellen scheint er auch zu verzweifeln und so wie er immer wieder sein Leben für andere riskiert, ist es vielleicht wirklich unfair wie ihn seine Vorgesetzten behandeln. Solche Gedanken werden ihn aber nicht bei der Lösung der Morde helfen, an deren Tatorte er immer wieder das Zeichen eigenartiger Hörner findet …

Pluto ist ein spannender Krimi, der es außerdem schafft Verschwörungen und epische Kämpfe zwischen Robotern in die Geschichte einzuweben, ohne dass es unpassend wirkt, auch wenn mir die Ermittlungen am besten gefielen. Denn in diesen gelingt es Urasawa Gesicht als einen komplexen Charakter darzustellen. Ein Charakter mit Ecken und Kanten, aber trotzdem kein nihilistischer Schwarzseher, der eine Menge Menschlichkeit zeigt, obwohl ihm seine Umwelt anderes unterstellt. Eine klassische Heldenfigur also, die trotzdem über Komplexität verfügt und mich mitfühlen lässt. Seine Sichtweise hätte auch vollkommen gereicht, um den immer komplexer werdenden Plot zu halten, aber Urasawa möchte nicht nur über das Leben eines Roboters schreiben, sondern auch über die Wurzel des Hasses und die Nutzlosigkeit von Kriegen, so wie es Osamu Tezuka später mit seiner Serie Adolf tat. Ein bisschen Kritik an die Ära Bush kommt auch noch dazu (schade wie aktuell die wieder ist).

Die Roboter und ihre existenziellen Ängste bleiben allerdings immer noch der interessanteste Teil von Pluto. Wir sehen immer hochentwickeltere Modelle, die aber trotzdem an ihren Körper gebunden zu sein scheinen. Aber müssten sie nicht einfach den Körper wechseln, solange ihre Software intakt ist? Ist echtes Leben mit Körperlichkeit gleichzusetzen? Ich weiß es nicht und ich bin auch noch etwas unentschlossen was das Ende der Serie angeht, aber irgendwann werde ich Pluto noch einmal lesen. Gesicht ist mir dann doch zu sehr ans Herz gewachsen.

Christian: Was heutzutage alles Eskapismus sein kann. Mit schöner Flucht in fantastische Traumwelten hat die von Tom Hardy und Ridley Scott produzierte Serie Taboo (Amazon Prime, bisher eine Staffel) jedenfalls nicht viel zu tun. Trotzdem ist Taboo natürlich Realitätsflucht pur, denn die Art und Weise, wie der von Tom Hardy gespielte James Delaney seine Probleme löst, vereinigt in etwa Batman, The Shadow, Punisher, Long John Silver, Dick Turpin, den Roten Korsar und Hannibal Lecter in einer Person. Er ist absurd schmerzresistent, kennt aber gleichzeitig zahllose Methoden, seinen Gegnern Schmerzen zuzufügen. Als genialer Soldat und Stratege ist er seinen Feinden immer die entscheidenden zwei Schritte voraus, und am liebsten bringt er seine Feinde mit zwei kleinen Sichelmessern um. Wenn er wieder einen seiner Anfälle hat, kommt es vor, dass er ihnen auch ein Stück Fleisch aus der Kehle beißt. Das hat er in Afrika gelernt.

So einer ist schwer in den Griff zu kriegen, und Drehbuchautor Steven Knight hat auch seine liebe Müh, den Plot in der Bahn zu halten. Geht es um eine Erbangelegenheit, oder ist der Aufhänger nur ein McGuffin, um mehrere Parteien gegeneinander aufzuhetzen? Geht es um das inzestuöse Verhältnis Delaneys zu seiner Halbschwester, immerhin heißt die Serie Taboo? Aber warum wird dieser Teil der Story dann nicht ausreichend vertieft? Am Ende schlägt die Erzählung jedenfalls ein paar Haken zu viel. Vorhersehbar war dieses Ende zwar nicht, deshalb mag das Überraschungsmoment geglückt sein, aber kompaktes Erzählen stell ich mir trotzdem anders vor. Immerhin ist Taboo eine reißerische, kleine Kolportage und steht damit irgendwie auch in der Tradition von Karl Mays Waldröschen – das tatsächlich sehr empfehlenswerter Eskapismus ist.

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Währenddessen… (KW 17)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: Ich bin inzwischen beim siebten Buch von Robert Kirkmans Comicreihe The Walking Dead angelangt. Unsere kleine Heldengruppe hat sich in einem ehemaligen Gefängnis mit Hilfe des Farmers Hershel Greene ihr kleines Selbstversorger-Refugium geschaffen und lebt von selbst angebautem Gemüse. So weit, so erfreulich. Ein bisschen enttäuscht bin ich aber trotzdem von diesen Survivalisten, wenn sie bedauern, dass sie die ganzen leckeren Tomaten vor dem Winter aufessen müssen, weil sie keine Möglichkeit sehen, sie zu konservieren. Hey, möchte ich sagen, noch nie was von Einmachen gehört? Kochen, pürieren, salzen, würzen und in kleine Marmeladengläser damit. Reicht den ganzen Winter. Und schmeckt.

Aber gerade solche Unzulänglichkeiten geben mir in ganz anderer Hinsicht Zuversicht: Nämlich, dass es mir eben doch möglich sein müsste, selbst irgendwann etwas zu schreiben. Ich schrecke immer noch davor zurück, weil ich Bedenken habe, mein Weltwissen würde nicht ausreichen. Bei Details, so die Angst, würde ich sicher bald einknicken. Das Beispiel von The Walking Dead zeigt aber, dass auch diejenigen, die den großen Schritt gegangen sind, nicht besser sind. Sie zehren von dem, was ihnen zur Verfügung steht – und siehe da, es reicht. Einfach anfangen, egal ob die Details perfekt sind oder optimiert werden können. Das Vertrauen darauf, dass die ursprüngliche Idee trotzdem trägt, wiegt weit stärker.

Und trotzdem stellt sich mir die Frage, ob das Einmachen von Gemüse nicht ebenso wichtig wäre für das Überleben nach dem Weltuntergang wie Schießübungen auf Dosen. Aber wollen wir nicht ungerecht sein, denn The Walking Dead überzeugt gerade durch die häuslichen und ruhigen Momente. Trotzdem glaube ich nicht, dass der echte Bauer Herschel so fantasielos wäre, was seine Tomaten angeht. Da wäre er Robert Kirkman eine Nasenlänge voraus.

Niklas: John Steinbeck, Autor von Romanen wie Früchte des Zorns, versuchte ab 1959 eine Neuübersetzung von Sir Thomas Malorys Le Morte d’Arthur, eine der bekanntesten Versionen der Artus-Sage. Später wurden daraus modernisierte Adaptionen der alten Erzählungen, bis dann noch eigene Geschichten von Steinbeck hinzukamen. Er vollendete sein Werk nie, obwohl er bis zu seinem Tod daran arbeite. Das Ergebnis ist The Acts of King Arthur and His Noble Knights, eine Sammlung von Kurzgeschichten, die thematisch aufeinander aufbauen und in sich geschlossen sind. Sie gehören mit zum Besten, was ich je gelesen habe. Das liegt hauptsächlich daran, dass Steinbecks Figuren komplexe Charaktere sind, die versuchen sich einem Schicksal entgegenzustellen, dem sie nicht entkommen können. Vielleicht machen sie es auch mit ihren Rebellionen gegen die Vorsehung erst möglich, wer weiß. Und auch wenn Steinbeck die Arbeit nie vollendete, ist der Schluss der letzten Geschichte gut genug, um als offenes Ende durchzugehen und Raum für Hoffnung lässt. Es ist einfach ein gutes Buch, ich werde es bestimmt noch einmal durchlesen.

Was meine Ausgabe noch aufwertet, sind die abgedruckten Briefe von Steinbeck, in denen er seine Arbeit am Buch festhält. Vielleicht sind sie sogar noch besser als das Buch, da sie ihre eigene Geschichte erzählen. Der Leser kann mitverfolgen wie der Autor zunächst mit Enthusiasmus am Buch zu arbeiten begann und dann im Laufe der Jahre immer mehr an seinen eigenen Fähigkeiten zweifelte. Ich denke jeder der versucht hat einen längeren Text zu verfassen, seien es Roman oder Artikel, kann Steinbecks Gefühle nachempfinden. Es hilft auch, dass Steinbeck mit viel Liebe und kritischer Reflektion an seine Arbeit heranging. Wir bekommen den Einblick in das Leben eines Mannes, der liebte was er tat und auch ein netter Kerl gewesen zu sein schien. Deswegen hat mir sein letzter Brief meinem Herzen einen kleinen Stich versetzt, als Steinbeck schrieb:

[…] I think, I have something […] I don’t think it’s bad. Strange and different, but not bad.

Du hast einen guten Job gemacht, John. Danke.

Daniel: What is real and what is nutz? Diese Frage stellt sich David Haller, Held der FX-Serie Legion. Haller, alias Legion und Sohn von Professor X, ist ein Mutant. Vielleicht der stärkste aller Mutanten. Seine übersinnlichen Kräfte bringen ihm nur nicht viel, weil er verrückt ist. Glaubt er zumindest. Deshalb spielt der Großteil der ersten Staffel in einer Nervenheilanstalt – und in Davids Hirn. Vielleicht existiert die Anstalt auch nur in seinem Hirn. Die Serie arbeitet mit der Idee des Unterbewusstseins – und dem Bewusstsein darunter. So ein bisschen wie in dem Film Inception ist hinter jeder Tür noch eine weitere und noch eine und noch eine. Nur dass in Legion alle Trainingsanzüge aus den 70ern tragen und darin tanzen. Eindeutig nutz!

Aktuell läuft die zweite Staffel. Das beste daran: Auch hier wird getanzt. Nur kämpft David diesmal nicht gegen sich oder das was in seinem Hirn wohnt, sondern gegen die Apokalypse. Oder hat sich David die auch nur eingebildet. Produzent Noah Hawley hat sich auch in der zweiten Staffel nicht von den Gedankenspielen verabschiedet. Der Plot ist einfacher gestrickt als in der ersten Staffel, doch die wilden Ideen, mit der die Serie ihre Themen vermittelt, sind es nicht. Wie zum Beispiel entsteht ein böser Gedanke? Ganz Galileo-like wird erklärt, das böse Gedanken, wie Küken aus Eiern schlüpfen. Sie ziehen Spuren aus schwarzen Schleim hinter sich her, nur um sich im Hirn der jeweiligen Wirts festsetzen – und dort zu wachsen. Bei mir hat sich Legion bereits festgesetzt als beste Serie in diesem Jahr. Ein bisschen verrückt ist es auch, meine gesammelten Gedanken in einen Newsletter zu packen.
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Währenddessen… (KW 21)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: Seit drei Jahren schreibe ich nun Woche um Woche die Künstler des Fuck-Yeah-Kalenders an, um ein kurzes Interview und eventuell ein paar exklusive Abbildungen zu erhalten, die wir dann am Montagmorgen als Kalenderblatt der Woche präsentieren. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mich nicht deutlich genug bedankt hätte. Diese urfränkische Stoffeligkeit (Nix gesagt is‘ Lob genug) möchte ich aber gerne abschütteln und deswegen sage ich hier nochmal rückblickend auf die letzten drei Jahre:

Danke für eure zahlreichen erhellenden, informativen und unterhaltsamen Beiträge, die Woche für Woche unsere Seite so gut aussehen lassen.

Ich hoffe, dass das noch lange so weitergeht.

Niklas: Ich habe seit 2013 keinen deutschsprachigen Fantasyroman zur zeitnahen Veröffentlichung gekauft. Natürlich habe ich immer noch Fantasy gelesen, aber das waren meistens Kurzgeschichtensammlungen und ältere Werke (alles dabei von 1970 bis jetztisch). Warum das so ist, weiß ich gar nicht. Eigentlich sehr schade, da in den letzten Jahren mehrere interessant aussehende Bücher erschienen sind und Die 13 Gezeichneten zeigt, warum ich das Genre immer noch liebe.

Das neue Buch von Judith und Christian Vogt ist nämlich ein fast sechshundert Seiten schweres Werk um Rebellion und schlechte Kommunikation. Der Plot liest sich zunächst einfach: Imperium besetzt Stadtstaat, Aufständische versuchen Imperiale wieder aus der Stadt zu werfen. Leider sind die Besatzer gar nicht das größte Problem, denn der Rebellen größter Feind sind die Rebellen selbst. Sie streiten und diskutieren und oft fehlt eine klare Organisation und Vertrauen, um wirklich effektiv zu kämpfen. Diese schwierigen Verhältnisse der Charaktere untereinander sind Die 13 Gezeichneten für mich das Highlight des Romans. Die Hauptfiguren sind keine eingespielte Gruppe aus professionellen Soldaten, sondern stammen aus allen Schichten der Bevölkerung, jeder mit eigenen Privilegien (oder Mangel davon) aufgewachsen und geprägt. Und nicht jeder ist für den Kampf geeignet oder lässt sich gerne vorschreiben, was er oder sie zu tun hat. Die Autoren zeichnen damit ein realistisches Bild der klassischen Truppe aus Außenseitern und starken Persönlichkeiten, die für einen gemeinsamen Zweck zusammenkommen, aber im echten Leben vielleicht nicht effektiv wären. Es braucht mehr außer Hass und Ideale, um zu gewinnen, wie auch unsere Helden lernen müssen, wenn sie den nächsten Tag überleben wollen.

Von den komplexen Beziehungen der Figuren abgesehen, gelingt es den Vogts außerdem mit wenigen Sätzen eine greifbare Welt zu erschaffen, die sich am siebzehnten Jahrhundert orientiert. Das liegt vor allem an den Zeichen. Das sind magische Symbole, mit denen sich zum Beispiel Fundamente verstärken oder Wunden heilen lassen. Im Detail werden sie nie beschrieben, aber ihre Wirkung zieht sich durch das ganze Buch, da sie mehr als einmal im Alltag eingesetzt werden, womit sie zum festen Bestandteil des Lebens der Stadtbewohner und ihrer Identität werden. Mit der Historie des Handlungsortes halten die Autoren sich noch zurück, genau wie mit religiösen Ideologien und klassenspezifischen Ritualen. Wahrscheinlich heben sie sich dies für den Nachfolger auf, der nach dem Ende so gut wie sicher ist. Trotzdem ist Sygna (der Handlungsort) jetzt schon ein lebhafter Ort voller potentieller Konflikte, die die Stadt wohl vernichten werden, wenn nicht ein Wunder geschieht.

Richtig zu kritisieren habe ich nur zwei Dinge am Buch: den Anfang und das Ende. Die ersten beiden Kapitel fand ich ein wenig zu schnell, da sie die Hauptfiguren gleich mit einer Actionszene einführen und im zweiten eine weitere hinzufügen, die ein wichtiges Ereignis in der Geschichte darstellt, zu der ich als Leser noch keinen richtige Beziehung habe. Die Rekrutierung eines Hauptcharakters fand ich auch ein wenig zu gekünstelt, aber das lag auch daran, dass ich mich noch nicht im Szenario eingelebt hatte. Beim Ende hingegen hatte ich das Gefühl, dass es ein wenig zu lang war und sich eine vorherige Szene als runderer Schluss geeignet hätte. Ansonsten gibt es noch ein paar Beschreibungen oder Sätze hier und da, wo ich die Stirn runzelte, aber letztendlich hatte ich Spaß und kann den nächsten Band kaum erwarten (einen Charakter aber den Spitznamen „Das Maul“ zu geben, finde ich allerdings immer noch grenzwertig).

Warten muss ich trotzdem. An meinen schlimmsten Tagen bin ich sehr ungeduldig. Hmm, jetzt fällt mir doch tatsächlich einer der Gründe ein, warum ich meistens ein paar Jahre warte, bis ich mir die Bücher kaufe.

Daniel: „War, what am I God for?“ Frei nach dem Protestsong (gesungen von Edwin Starr) frage ich mich, warum der aktuelle (vierte große) God of War-Teil so von Kritikern gehypt wird. Ja stimmt, die Spielwelt sieht wirklich schön aus und die Dialoge sind geistreich getextet. Aber ist dieses Videospiel wirklich so gut?

„Dir gefallen meine Tattoos also nicht?“

Fangen wir bei der Story an, die ist schnell erzählt: Nachdem Kratos alle griechischen Götter getötet hatte, machte es sich der tragische Antiheld in nordischen Gefilden gemütlich, hat eine Familie gegründet und ist alt geworden. Altwerden war bisher kein großer Verkaufsschlager bei den potentiellen Käufern solcher Spieletitel. Deshalb startet das Spiel mit einem Konflikt: Nach dem Tod seiner Frau steht Kratos alleine mit seinem Sohn Atreus am Feuer, das sie verzerrt. Gemeinsam sammeln sie die Asche ein, um sie auf dem höchsten Berg der Welt zu verstreuen. Eigentlich ein schöner Vater-Sohn-Ausflug, wenn da nicht dieser nordische Hooligan vor ihrer Tür stehen würde.

Der Grund, warum sich die Kritiker vor Lob überschlagen, sind die Veränderungen zu den alten God-of-War-Teilen und den Dialogen zwischen Kratos und seinem Sohn. War der Kriegsgott in der Vergangenheit eine reine Kloppmaschine, leidet sein altes Ego hier an den psychischen Wunden, die diese Kämpfe verursacht haben. Er zeigt eine Eigenschaft, die nur wenige Videospielfiguren besitzen: Reue. Die Unterhaltungen zwischen Vater und Sohn sind wirklich so gut getextet. Sie sind nicht nur Dekor, das die endlosen Kanutouren aufhübscht, sondern zeigen den emotionalen Ballast, der schwerer auf Kratos wiegt als das Gewicht seiner Allzweck-Axt. Die Unterhaltungen vermitteln dem Spieler Kratos‘ Unfähigkeit mit seinem Sohn über den Tod dessen Mutter und seiner eigenen Vergangenheit zu sprechen. Später wir das literarische Duett durch Mimir, den weisen körperlosen Kopf erweitert, dessen Passagen das bedeutungsschwangere Generationsdrama aufheitern.

Aber vermittelt der Vater seinem Sohn wirklich Moral? Er zeigt Atreus zwar, was es heißt ein anderes Wesen zu töten. Doch als der Junge seinem Vater nacheifert, wird ihm ins Gewissen geredet: Gewaltanwendung bitte nur zur Selbstverteidigung. Bei dieser Argumentation kommt es Kratos gelegen, dass die Unmengen an namenlosen nordischen Gegnern alle zuerst angreifen. Jede Sekunde ein neuer Akt der Selbstverteidigung, der stets in einem Gemetzel mit einem blutverschmierten Kratos enden.

God of War bleibt nur ein lineares Hack-and-Slay-Spiel. Die Lehren sind nicht „achte das Leben“, sondern „Verbessere deine Waffen und lass‘ dich von den netten Nebenquests ablenken.“ Der Gott des Gemetzels ist zurück und rechtfertigt den Kauf dieses Spiels mit einer Pseudomoral. Was soll ich sagen, ich hab God of War durchgespielt und „befreie“ nach dem Ende des Spiels noch die Walküren von ihren physischen Körpern. Ich bin ein wirklich guter Held. Ehrlich:

Julian: In den letzten Wochen entdeckte ich das dritte Album von Richard Harris, der vor allem als Schauspieler (Harry Potter, Der Mann, den sie Pferd nannten) und Trinkkumpan von Richard O’Toole in Erinnerung blieb. Doch Harris nahm zwischen 1968 und 1977 diverse Alben (zwei davon unter der Leitung von Jimmy Webb) auf, die alle recht erfolgreich waren. Zumindest der Song MacArthur Park sollte heute noch bekannt sein.

Nach dem bereits wunderbaren A Tramp Shining und seinem großartigen Nachfolger The Yard Went On Forever…, beides schwer zugängliche Konzeptalben, die Jimmy Webb komponierte (heute auf einer CD als MacArthur Park – Richard Harris sings the songs of Jimmy Webb erhältlich), geriet das stimmlich herausragende und konzeptuell zugänglichste My Boy (1971) beinahe völlig in Vergessenheit. Harris covert hier diverse Songs zum Thema „Liebe“, darunter wieder einige von Jimmy Webb und erzählt so die Geschichte eines Mannes, der sich verliebt (Beth), heiratet (Proposal), ein Kind zeugt (This Is Our Child) und bald vor einer schmerzhaften Scheidung steht.

Hört man heute die Songs, verwundert vor allem die Offenherzigkeit, mit der schwierige Themen angesprochen werden, wie etwa Ballad of the Unborn Child, das sich mit Abtreibung und der Sicht auf den möglichen Verlust eines ungeborenen Kindes beider Partner auseinandersetzt. In anderen Songs, etwa My Boy, richtet sich Harris direkt an seinen Sohn und erklärt ihm die Umstände der Scheidung. Highlight indes Jimmy Webbs Requiem. Wie bei vielen Songs des Songwriters (etwa Paper Chase oder Watermark) liefert Richard Harris hier eine definitive Version ab, kein Vergleich zu der soliden Fassung von The 5th Dimension. Nicht nur das Zusammenspiel von Orchester und Band, die in sich stimmigen Arrangements überzeugen, sondern vor allem auch der ausgezeichnete Gesang, der beweist, wie die Stimme des Sängers sich seit dem Debütalbum kontinuierlich verbesserte.

Die drei ersten Alben von Richard Harris kann ich jedem Fan opulenter Musik der späten 1960er / frühen 70er Jahre empfehlen. Lyrisch, kompositorisch und auch gesanglich zählen sie zu den interessantesten Alben der Zeit und präsentieren die Wrecking Crew, jene Musiker, die auch für die Beach Boys, Frank Sinatra oder Cher arbeiteten, in Höchstform.

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Währenddessen… (KW 25)

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Christian: Erinnert sich noch jemand an Sammy und Jack, die Bodyguards vom Ballerservice? In der Geschichte „Schwere Jungs und Fußballfieber“, bei uns 1984 in Fix und Foxi abgedruckt, müssen die beiden Männer fürs Grobe eine Fußballmannschaft vor Anschlägen einer verfeindeten Mannschaft schützen. Die wiederum wollen sich für einen Anschlag vom Vorjahr auf deren Mannschaftsflugzeug rächen (man merkt schon, der ganze amerikanische Fußball war schon in den 30er Jahren total verrottet), also geben die beiden gemeinsam mit den Ersatzspielern die Lockvögel für Anschläge, während die Top-Spieler auf geheimen Pfaden an den Turnierort reisen.

Der Feind aber durchschaut das Ablenkungsmanöver, der Anschlag auf die erste Garnitur gelingt und Sammy und Jack müssen – wollen sie die versprochenen 60.000 $ sehen, selbst spielen. In einem Wahnsinnsspiel gelingen diverse Tore, aber: In Portosan die heimische Mannschaft zu besiegen erzeugt selbstverständlich Lynchstimmung. Wenn selbst Polizisten auf offener Straße auf die verfeindeten Fußballer schießen, sollte man sehen, dass man weiterkommt. Die Sammy und Jack-Story von Berck und Cauvin ist der totale Wahnwitz und auch nach über 30 Jahren immer noch sehr lustig. Wiederentdecken lohnt.

Daniel: STOP, Hammer Time! Nachdem ich das Computerspiel God of War durchgespielt hatte, war ich versessen auf nordische Mythologie. Ich wollte mehr über Odin und Baldur erfahren, wollte wissen, woher Thors Hammer kommt und wann dieses Ragnarök genau stattfinden wird. Ganz praktisch, dass Neil Gaiman sich gerade Walhallas angenommen hat. In Norse Mythology erzählt der renommierte Autor von Sandman die Sagen der Götter nach.

Das wollte ich aber eigentlich nicht.

Ich wollte entweder ein Sachbuch über die nordischen Götter oder eine Sandman-artige Neuerfindung von Lokis Tricks und Lügengeschichten. Was Leser in Norse Mythology bekommen, erklärt Gaiman im Vorwort: Statt ein weiteres Sachbuch zu schreiben, hat er sich aus Snorris Sturlosons Edda die wichtigsten Geschichten herausgesucht und halbpoetisch nacherzählt: „blending versions of myth from the prose and from the poems.“ Die märchenhaften Erzählungen darüber wie Thor einmal einen Oger heiraten sollte, sind nicht uninteressant. Sie sind unterhaltend, informativ und lustig. Doch sind sie mir zu poetisch, zu naiv, zu wenig Action. Ein bisschen so wie man Kindern vom Weihnachtsmann erzählt. Ich wollte aber weniger von diesem Zauber, dafür mehr Blut und Schweiß und Action und Mystik. Wahrscheinlich hat mich das glänzende Cover mit Mjölnir darauf geblendet.

Christian: Die abgefahrenste Entdeckung des Comic-Salons wurde mir am letzten Tag des Salons von Burkhard Ihme angedreht. Es handelt sich um die streng limitierte Hardcover-Ausgabe der Ray Clark-Piccolos von Enrico Renzi und Rinaldi Rinaldoni, eine der größten Comicserien der 1950er-Jahre aus Italien. In dem Buch finden sich neben den alten Comics viele Begleittexte mit aberwitzigen Anekdoten über die Künstler und die Begleitumstände der wechselvollen Entstehungsgeschichte der Reihe. Auch die Rekonstruktion der Serie gestaltete sich abenteuerlich. Manche Inhalte konnten nur über bulgarische Lizenzausgaben wieder aufgetrieben werden, welche jedoch stark zensiert, retuschiert und mit kommunistischer Propaganda angereichert waren.

Ein interessantes Dokument italienischer Comicgeschichte ist auch das Originalheft 36 von 1953. Da Rinaldoni zu dieser Zeit zum Zahnarzt (!) musste, konnte er das Heft nicht rechtzeitig fertigstellen, woraufhin zahlreiche Kollegen einsprangen und je eine Seite beitrugen. Ein echtes Who-is-Who des italienischen Golden Age, unter anderem …… äh, wait a minute, … Chris Scheuer? Stephen Boiselle? Hansrudi Förster?!? Jürgen Speh? Was sind denn das für Italiener? Und wenn ich mir die restlichen Zeichnungen so ansehe, dann sieht das auch nicht wirklich nach 50er Jahre aus. Das ist astreiner Ihme-Stil und sieht aus wie seine Serien Reino und Mick Baxter. Ist das hier alles nur ein Hoax oder was? Fast hätte ich die Räuberpistolen aus Süditalien ja tatsächlich geglaubt, aber am Ende war doch alles nur erstunken und erlogen. Aber überzeugend, gut gemacht und lustig.

Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.

Währenddessen … (KW 32)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: Im Urlaub zu zweit lässt man den Partner entweder in Ruhe oder man spielt Solospiele. Oder man leiht sich von Freunden Fugitive aus. Dieses 2-Spieler-Spiel von Tim Fowers dauert etwa 10-15 Minuten und ist eine wirklich willkommene Ablenkung nach Stunden in der Hängematte. Wie der Titel schon andeutet, geht es um eine Flucht. Das klassische Spiel: Einer gibt den Verbrecher, der andere den Ermittler. Im Gegensatz zu Scotland Yard wird hier nur linear mithilfe von Spielkarten geflüchtet, was die Sache aber nicht minder spannend macht. Von 01 bis 42 sind die Karten wunderschön illustriert von Ryan Goldsberry. Wie schnell und wie weit ihn seine Füße tragen, weiß nur der Flüchtende. Sein Gegenüber jedoch kann überlegen, welche Schritte der Fliehende gehen kann und welche nicht. Bei der Flucht darf gesprintet und geblufft werden.

Und wenn man nach ein paar Partien die Nase voll vom Fliehen hat, werden die Rollen einfach getauscht.

Am 23. Juli wurde das Spiel des Jahres 2018 ausgezeichnet. Bevor die Auszeichnung vergeben wurde, habe ich für die SZ Jury-Mitglied Bernhard Löhlein interviewt. Ich wollte wissen, wie viele Spiele er im letzten Jahr gespielt hat, was seine Frau dazu sagt und wie man Freude am Spiel überhaupt bewerten kann.

Ich selbst wusste natürlich gleich, dass Azul gewinnen würde, deshalb habe ich es meiner Familie schon zu Weihnachten geschenkt und mehrmals gespielt.

Christian: Es ist mehr oder weniger anerkannt, dass der klassische amerikanische Western bis in die 60er Jahre hinein eine Art amerikanischer Heimatfilm war. Was aber war dann der ab den 60ern auftretende „Western all’italiana“, außer dass er ein kommerzielles Erfolgsrezept war mit dem einen oder anderen künstlerischen Achtungserfolg? Michael Striss hat in seinem Buch Gnade spricht Gott – Amen mein Colt das Genre des Italo-Western theologisch gedeutet und präsentiert uns einige interessante Einsichten.

So erfahren wir, dass der klassische amerikanische Western von einem pragmatischen Christentum geprägt ist, mit dem sich die Verheißung eines neuen Jerusalem im Westen nachvollziehen lässt. Hier spiegelt sich die Lehre der sogenannten doppelten Prädestination, die dem Calvinismus entstammt: Der Weg guter Menschen ins Paradies ist damit von vorneherein festgelegt, doch ist es deren Aufgabe, sich „durch Fleiß, Askese, Tugendhaftigkeit und ein moralisch einwandfreies Leben Gewissheit darüber zu verschaffen, ob er zu den von Gott erwählten gehört“. Damit erklärt sich auch die strenge Unterteilung von Gut und Böse in vielen dieser Filme.

Auch der italienische Western hat eine christliche Prägung, aber sie ist völlig anderer Natur: Der Italo-Western spiegelt das Menschenbild der Bibel wider, welches laut Striss nüchtern und desillusionierend, gleichwohl aber realistisch ist. Im Italo-Western steht der fehlerhafte Mensch nach dem Sündenfall im Zentrum, der den Überlebenskampf innerhalb der gefallenen Schöpfung ausficht, jedoch nicht in der Lage ist, sich selbst zu erlösen, auch wenn er es stets aufs Neue versucht. Nur die Gnade Gottes kann Rettung bieten. (In den Filmen warten wir jedoch zumeist vergeblich darauf.) Erwähnt werden sollte auch, dass die Institution Kirche im Italo-Western deutlich schlechter abschneidet als im amerikanischen Ur-Western, da auch die Kirche von menschlicher Fehlbarkeit durchsetzt und korrumpiert ist.

Spannende theologische Gedanken. Mit der Zeit wird Michael Striss zwar etwas repetitiv, aber das ist auch seiner Gründlichkeit geschuldet. So zählt er für jede Beobachtung zig Filmbeispiele auf, die sich oft bis ins Detail ähneln, so dass nach einiger Zeit Querlesen angeraten ist. Auch teile ich nicht die Denkweise von Striss, wenn er beispielsweise die Bedeutung der christlichen Symbole als notwendig für den Zusammenhalt der Gesellschaft sieht. Recht gebe ich ihm allerdings, wenn er behauptet, dass es gewinnbringend ist, biblische Symbole und Zusammenhänge zu kennen und zu erkennen.

Sehr schön auch Michael Striss‘ Favoritenliste, die sich zwar in vielen Punkten nicht mit meinen Favoriten deckt, aber trotzdem als Anregung für viele bereichernde Filmabende dienen kann.

Niklas: Langsam aber sicher, nähert sich auch mein Studium dem Ende (hoffe ich zumindest). Es hat länger gedauert als geplant und manchmal frage ich mich, ob ich nicht alles hätte beschleunigen können, wenn Studieren mehr Spaß gemacht hätte. Oder praktischer. Schlösser zu knacken, wie in Hero-U: Rogue to Redemption, wäre bestimmt nützlich gewesen, wenn ich mal wieder eine Hausarbeit schnellstmöglich abgeben musste.

Hero-U, ist der spirituelle Nachfolger der Quest for Glory – Reihe, eine Serie von Hybriden aus Adventure und Rollenspiel. Das Spiel wurde 2012 mittels Crowdfunding finanziert und vor einem Monat veröffentlicht. Wir spielen Shawn O’Connor, einen jungen Delinquenten, der von einem unbekannten Gönner zur Universität der Helden gebracht wird, um dort zum heldenhaften Schurken gemacht zu werden. Wird Shawn das Schuljahr überstehen? Welche Abenteuer erwarten ihn dort? Kann er das Herz der süßen Mädchen (oder Jungs) gewinnen? Und was hat das alles mit der Geschichte seiner Familie zu tun?

Hero-U erzählt eine charmante Geschichte über das Erwachsenwerden und gleich zu Beginn fallen die hochwertigen Texte auf, die mit vielen Wortspielen gewürzt sind. Der Ton der Handlung ist ausgesprochen optimistisch und menschenfreundlich. Nach den düsteren Spielen der letzten Jahre, ist es erfrischend in eine Welt abzutauchen, in der Gutes zu tun sich verdammt gut anfühlt.

Die Handlung dreht sich größtenteils um den Alltag als Dieb, äh, Schurke: Schlösser knacken und Schleichen. Kämpfen lernen sollte ich aber auch. Und Fallen zu deaktivieren ist auch praktisch. Klettern gehört auch dazu. Die richtige Lektüre erweitert mein Wissen und Fallen helfen gegen bösartige Kreaturen, aber die kosten alle Geld und Geld verdienen kann ich nur außerhalb der Seminare. Irgendwann muss ich auch für Klausuren lernen. Dann sind da noch die Geheimnisse unter der Universität. Es gibt also viel zu tun und all diese Faktoren unter einem Hut zu bringen, ist die eigentliche Herausforderung von Hero-U (fast so, als würde man noch mal zur Uni gehen). Der Spieler hat nur begrenzt Zeit und wird vom Klang der Esssensglocke (die selbst in den tiefsten Katakomben wiederhallt … mysteriös) und dem Beginn der Ausgangssperre (über die ich mich aber hinwegsetzen kann, hehe) begrenzt. Ein müder und hungriger Shawn, ist außerdem anfälliger gegen die Attacken miesmutiger Monster. Gut zu planen ist also wichtig und wird belohnt.

Das Spiel motiviert durch den Abwechslungsreichtum seiner Aufgaben und dem schönen Gefühl etwas richtig gemacht zu haben, wenn man das Korsett des Lehrplans sprengt und sich wirklich anstrengt, Freunden und Fremden gleichermaßen zu helfen und ein echter Held zu sein. Das fühlt sich einfach gut an.

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Währenddessen … (KW 35)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: „Du komms‘ hier nich‘ rein.“ Als Türsteher entscheidet der Spieler in Not Tonight, wer in den angesagten Club kommt – und wer draußen bleibt. Dazu muss der Ausweis jedes potentiellen Gasts gecheckt werden – unter Zeitdruck. Das Computerspiel vermittelt den Stress, Entscheidungen zu treffen. Denn der Club hat nicht die ganze Nacht geöffnet, und der Besitzer will zahlende Kunden sehen. Zu Beginn sind die Entscheidungen einfach: Wer noch nicht 18 Jahre alt ist, kommt nicht rein. Wer mit kurzen Hosen in den angesagtesten Club will, bleibt draußen. Ständig muss auf alle Einzelheiten des Ausweises geachtet werden. Natürlich geht es bei einer solcher Entscheidung nicht um Leben und Tod, sondern nur um Clubs oder unvertanzter Dinge nach hause fahren.

Doch die Entwickler von Not Tonight haben sich für ihr Spiel ein besonderes Setting ausgedacht – das gar nicht an den Haaren herbeigezogen ist: England nach dem Brexit. Europäer werden geduldet. Sie wohnen in speziellen Lagern irgendwo in Cornwall und bekommen nur miese Jobs zugeteilt, wie den des Türstehers. Clubs dürfen sie aber nicht besuchen, Franzosen, Iren und Deutsche müssen draußen bleiben. Das Konzept von Not Tonight basiert auf dem Independent-Spiel Papers Please und verpackt die einfachen Entscheidungen am Grenzposten in eine zeitgemäße Hintergrundgeschichte. Das Problem des Spiels ist ein langatmiger Einstieg. Man versteht das Problem des Brexit schneller, als es das Spiel einem zutraut. So dekoriert man sein Zimmer, kauft sich neue Türsteher-Klamotten und wartet auf den Kontakt zu Untergrundorganisation. Nette Witze und unterhaltsames Zeug, dass aber vom Kern des Spiels ablenkt.

Christian: Zunächst wollte ich Netflix ja nur vorübergehend einen Monat lang haben, um mir Matt Groenings Disenchanted ansehen zu können. Mehr nicht. Aber nach Disenchanted, das ich super fand, wollte ich halt dann doch weitergucken. Warum nicht The Walking Dead, dachte ich mir. Das ist easy watching, so der Gedanke, dazu braucht es wenig Hirn.

Vor ein paar Jahren lernte ich eine Schülerin kennen, die gerne ein Walking Dead-T-Shirt trug. Als ich sie eines Tages fragte, wer der Typ auf dem Shirt sei, meinte sie, das sei Daryl, der Typ mit der Armbrust, und das wäre ohnehin der allercoolste, und sie würde sofort aufhören die Reihe zu schauen, wenn die Macher irgendwann beschließen würden, Daryl zu töten. Solche Fans wünscht man sich doch – als ich das hörte, war ich eigentlich schon damals an die Serie verloren. Und tatsächlich, der Redneck Daryl Dixon ist die schönste Figur der Reihe. Ich fiebere jetzt schon der Episode entgegen, in der sein Bruder Merle, der Arsch aus Episode 2 und 3, seine spektakuläre Rückkehr hat. Und dann will ich den Guv’nor sehen, Michonne – und natürlich Negan und Lucille.

Aber eins weiß ich jetzt schon: Eine so coole Figur wie den lernfähigen Zombie Bub aus Romeros Day of the Dead wird es nicht geben. Das liegt einerseits an der seriellen Struktur von TWD, als auch an der morbid-destruktiven Erzählhaltung. Denn mit der fiesen Pointe, dass ein Zombie wie Bub zum Sympathieträger wird, als er den Fiesling des Films mit einer Pistole jagt, würde es nicht bleiben. Früher oder später würde Bub auf jeden Fall im Häcksler landen.

Außerdem hatte George Romero die besseren Soundtracks. Die elektronischen Hypno-Beats von John Harrison sind wie so viele Soundtracks dieser Genre-Ära schönstes Easy Listening und haben mit dem so vorhersehbaren, manipulativen Sound-Design neuerer Produktionen (von Musik kann man oft kaum reden) nicht viel gemein. Die Gorillaz haben die Eröffnungssequenz aus Day of the Dead ja umwerfend gut in ihr Stück M1-A1 integriert.

Eine ungeschnittene Version von Day of the Dead ist hierzulande ja immer noch nicht gestattet – eine geschnittene dagegen schon (– und ich empfehle natürlich nur diese). Hoffentlich ändert sich dieser Umstand bald. Im Rückblick ganz schön fies, wie damals in den 1980ern die kleinen Video-Labels und Videotheken schikaniert worden sind und wie im Vergleich dazu jetzt Netflix mit schierer Marktmacht ganz andere Schrecken in jedes Wohnzimmer streamt. Aber: „Might makes right“, das liest man schon bei Cerebus. Wenn nur die bürokratischen Hürden für eine Befreiung des Romero-Klassikers nicht so hoch wären – wider besseren Wissens aller Beteiligten eigentlich.

Preisfrage: Welches Buch liest Bub im Bild? (Die Antwort gibt es in weißer Schrift.)

(Antwort: Stephen Kings Salem’s Lot)

Niklas: Tief in meinem Herzen bin ich kein Optimist. Nicht in der Welt, in der wir leben. Natürlich habe ich auch gute Tage, aber auf längerer Sicht, fällt es mir schwer, mir eine positive Entwicklung der Menschheit in den nächsten Jahren vorzustellen. Soylent Green von Harry Harrison (hier in der deutschen Ausgabe von 2013) spiegelt meinen Gemütszustand der letzten Monate wider. Natürlich geht es den im Roman beschriebenen Menschen noch schlechter als mir: Im New York des Jahres 1999 (das Buch wurde 1966 geschrieben), hat niemand mehr zu essen, Trinkwasser gibt es kaum noch und die Gesellschaft bricht langsam aber sicher zusammen. In dieser Welt versucht ein Polizist sein Liebes- und sein Berufsleben in den Griff zu bekommen und scheitert. Er scheitert, weil er letztendlich zu klein ist, um etwas in der Welt zu bewegen und weil es auch keinen Unterschied mehr macht, ob er seinen Job macht oder nicht. Die fragile Ordnung, die die Menschheit aufgebaut hat, bricht zusammen und der Mensch wird so oder so aussterben, weil es kein zurück mehr gibt.

Die Welt ist am Ende, warum also weitermachen? Wahrscheinlich, weil niemand willentlich sterben kann und weil aktives Warten auf den Tod es nur noch schlimmer machen würde.

Die Handlung von Soylent Green ist dünn. Es  geht Harrison nicht um einen komplexen Plot, sondern darum, den Leser durch diese verfallene Welt zu führen. Vielleicht sind wir nicht mehr lange von dieser Welt entfernt, auch wenn der Autor meine Ausgabe des Buches ein hoffnungsvolles Nachwort hinzufügt. Ich kann mich dieser Hoffnung leider nicht anschließen. Vielleicht irre ich mich auch. Ich würde es mir wünschen.

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Währenddessen … (KW 37)

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In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: Spider-Man, Spider-Man, nananana, Spider-Man! Ich liebe den Ramones-Song zur Spider-Man-Zeichentrickserie. Doch der kommt in dem neuen Playstation-4-Spiel gar nicht vor. Dafür ist es vollgepackt mit Anspielungen aus den Marvel-Filmen, Netflix-Serien und natürlich den Comics. Als Peter Parker aka Spider-Man schwingt man mit seinen Netzen durch Manhattan. Vergleichen lässt sich dieses Open-World-Spiel am besten mit den Batman-Titeln, Arkham City und seinen Nachfolgern. Aber Spider-Man ist besser. Besser weil die Stadt sich als Spider-Man besser anfühlt.

Das liegt vor allem an den intelligent geschrieben Dialogen, den Millionen von Easter Eggs – verstecken Anspielungen – letztendlich aber an der pakourartigen Fortbewegung. Zwar muss das richtige Timing beim Schwingen erst gelernt werden, doch macht man einen Fehler und klatscht gegen einen Wolkenkratzer, macht das nichts: Spider-Man läuft das Gebäude einfach weiter hoch, springt runter und schwingt weiter. Es macht einfach nur Spaß sich so durch ein echtes Manhatten (inklusive Avengers Tower) zu schwingen. Ein weiterer Pluspunkt ist das in media res. Entwickler Insomnica Games vertraut dem Spieler, dass er auch ohne Origin-Story ins Spiel findet. Also gibt es keinen Tod von Onkel Ben, keinen Peter als Wrestler und kein „With great power comes great responsibility.“ Ein bisschen Wrestling gibt es schon. Als eines von 40 Kostümen taucht auch diese Verkleidung auf, mit einer einigen Spezialfähigtkeit. Insomiac Games hat ein Spiel für Spidey-Fans gemacht. Das Gefühl beim Spielen: Ich bin Spider-Man!

Ich habe über das Spiel mit Manu Fritsch von insert moin auch eine Podcast-Folge aufgenommen, die es kostenlos zu hören gibt.

Niklas: Angeblich schreibt K.J. Parker Fantasy-Romane. Seine Romane spielen zwar in einer fiktiven Sekundärwelt, sie sind aber frei von Magie und fantastischen Wesen. Seine Themen sind die katastrophale Ökonomie und obsessive Liebe. Immer wieder wiederholt Parker diese Themen – und nicht immer gut. Doch wenn er gut ist, dann ist er wirklich gut. Außerdem stellt er gerne die moralische Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt – auf eine zynische Art, die nicht reißerisch sondern nüchtern rüberkommt. Anstatt zu beweinen, wie grausam die Welt ist, handeln seine Figuren grausam und können es moralisch für sich verantworten. Was ist schon gut oder böse, in einer Welt, in der sich jeder irgendwie rechtfertigen kann?

Um solche Fragen dreht sich auch Parkers neustes Werk, die Trilogie The Two of Swords, ein literarisches Experiment, das als eine Sammlung von elektronischen Novellen, die einzeln geschrieben und dann nach über einem Jahr zusammengeführt wurden. Alle Novellen sind in sich abgeschlossen, werden aber durch ein Thema zusammengehalten: Krieg. Als Leser sieht man durch die Augen der Protagonisten, wie zwei brillante Kriegsherren das Reich aus nichtigen Gründen zerreißen (so ein Streit unter Geschwistern kann schon hässlich sein), eine mysteriöse Organisation auf eine neue Welt hinarbeitet (wenn denn die Anführer noch existieren) und jeder versucht das Schlachten zu überleben, obwohl sie sich eine Welt ohne diesen Konflikt gar nicht vorstellen können. Wenn möglich, versuchen sie auch einen kleinen Profit aus der Sache zu schlagen, denn von irgendwas muss der Mensch ja leben. Jede Armee braucht schließlich Waffen, da wäre es eine Verschwendung, die alten Prügel Rost ansetzen zu lassen, wenn sie noch gut sind.

In Parkers Welt gibt es keine höhere Mächte, aber die Menschen glauben trotzdem: an Ideale, eine bessere Welt, die Liebe und dass man Menschen und Ereignisse kontrollieren kann, wenn man die richtigen Mittel zur Hand hat. Im Kontrast dazu, überleben die Protagonisten oft durch Zufall, müssen noch öfter improvisieren und stellen am öftesten, dass auch der Rest der Menschheit eigene Meinungen hat, die sie auch mit Gewalt durchsetzen. Schöner Mist.

Es ist ein komplexes und verwirrendes Geflecht an Handlungssträngen, die nicht immer sauber zusammengeführt werden und ich denke das ist auch einer der Punkte, die Parker rüberzubringen versucht: das Leben schert sich nicht nach Plänen und Macht ist nur eine Illusion, aber man versucht trotzdem das Beste aus der Situation zu machen. Am Ende wollen wir alle überleben und können uns mit allem arrangieren, wenn wir nur flexibel genug sind. Auch mit dem Krieg. Vielleicht glauben wir sogar an etwas und sei es auch nur, dass die Liebe wirklich existiert.

Ich denke, ich werde diese The Two of Swords behalten und eines Tages noch mal lesen. Ich glaube nämlich, dass das hier verdammt gute Literatur ist, ob die Bücher nun Fantasy sind oder nicht.

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